Die Stadt der schwarzen Schwestern
nachdem die neuen religiösen Ideen aus dem Deutschen Reich und aus Frankreich auch in die Ardennen Einzug hielten. Damals kamen Männer in die Dörfer und Weiler, sie predigten unter freiem Himmel und zogen Tausende von Menschen in ihren Bann. Unglücklicherweise schickte auch der Großinquisitor aus Brüssel, ein gewisser Titelmans, seine Häscher aus. Er ließ alle Leute, die den neuen Lehren anhingen, gnadenlos verfolgen. Wer nicht rechtzeitig floh, wurde gefoltert und hingerichtet. Nur einer Handvoll Mutigen gelang es, sich in die Wälder zurückzuziehen. Sie wurden von uns Waldbettler genannt.»
«Der Wald hinter der Mühle heißt heute noch Bettlerwald», warf Jan ein.
Griet atmete tief durch. Sie entsann sich der Worte des Bauern, der von Rebellen erzählt hatte, die in den Wäldern hausten, dafür aber die Landstraßen genau im Auge behielten. Für sie gab es kaum noch einen Zweifel, dass diese Leute etwas über das Schicksal der schwarzen Schwestern wussten. Sie blickte Isolda an, die immer noch lächelte. Trotz ihrer körperlichen Versehrtheit wirkte sie so zufrieden und von Ruhe erfüllt, wie Griet es sich oft für sich selber wünschte.
«Eure Augen», sagte sie schließlich zaghaft. «Das war auch dieser Titelmans, nicht wahr?»
Die Müllerin nickte nach einem kurzen Zögern. Sie schien beschlossen zu haben, Griet zu vertrauen.
«Das ist lange her. Damals saß Margarethe von Parma noch im Schloss von Brüssel und ließ sich von ihrem Berater, dem schrecklichen Bischof Granvelle, Gift in die Ohren träufeln. Titelmans’ Ketzerjäger kamen mit bewaffneten Männern ins Dorf und versuchten, mir ein Geständnis zu entlocken. Sie haben es nicht geschafft, deshalb blendeten sie mich schließlich und ließen mich gehen.» Sie erhob sich und rief nach ihrer Magd.
«Ihr müsst mich nun entschuldigen», sagte sie. «Ich bin sehr müde. Hoffentlich ist Euch das kleine Kämmerchen über der Mühle nicht zu unbequem, aber es ist das einzige Quartier, das wir Euch anbieten können. Mein Sohn wird Euch alles zeigen.»
Don Luis verneigte sich, obwohl Isolda die Geste nicht sehen konnte, und bedankte sich für ihre Gastfreundschaft. Jan öffnete derweil die Tür und weckte Arro, der unter dem Tisch geschlafen hatte, mit einem Pfiff. Der Hund erhob sich gähnend und trottete widerwillig in die Kälte hinaus. Griet wollte ihm gerade folgen, als sie Isoldas Hand auf ihrem Arm spürte. Die Blinde hatte sich lautlos an sie herangepirscht.
«Müsst Ihr unbedingt nach diesen Frauen suchen?», flüsterte sie. «Manchmal ist es besser, die Dinge auf sich beruhen zu lassen und ihnen nicht auf den Grund zu gehen. Wir ersparen uns dadurch Schmerz und Leid.»
Griet stockte. Es lag ihr auf der Zunge, der Müllerin vom Statthalter Farnese zu erzählen, der Menschen wie sie verdächtigte, von ihrem dem Untergang geweihten Geschäft und von de Lijs, der nur darauf wartete, dass sie einen Fehler beging. Einen Fehler, der sie in sein Haus und Bett treiben würde. Aber sie unterließ es, sie konnte Don Luis’ warnenden Blick unmöglich übergehen. So verabschiedete sie sich mit einem kurzen Gruß und folgte den Männern hinaus.
In der Mühle war es gemütlich warm, es roch nach Holz und Mehl. Jan warf ein paar grobe Decken auf zwei Strohsäcke, die sonst von den Gesellen seines Vaters benutzt wurden. Dann ließ er Griet und Don Luis allein.
«Die Frau hat Euch empfohlen, die Suche abzubrechen, nicht wahr?», wollte Don Luis wissen, während er die beiden Strohsäcke misstrauisch nach Wanzen absuchte. Griet fand das überflüssig. Wie im Haus der Kollincks blitzte es auch in der Mühle vor Sauberkeit. Isoldas Mann und seine Gehilfen schienen viel Wert auf Ordnung zu legen. Soweit Griet im Schein der Tranlampe, die Jan ihnen dagelassen hatte, sehen konnte, hatte jedes Werkzeug, jeder Nagel und jeder Sack Korn seinen vorgesehenen Platz. Nichts lag einfach so herum. Sogar die Böden waren blankgescheuert.
«Und? Werdet Ihr es tun?»
Griet horchte auf. «Was tun?»
«Nach Oudenaarde zurückkehren und die Sache auf sich beruhen lassen.»
«Nie im Leben», sagte Griet. «Nicht, bevor ich den Weg der schwarzen Schwestern bis zum Ausgangspunkt zurückverfolgt habe. Es muss doch irgendwo eine Spur geben, einen Hinweis. Und wenn es nur ein paar Fußabdrücke sind. Sieben Menschen verschwinden nicht einfach, ohne dass jemand davon Notiz nimmt.»
Don Luis machte ein skeptisches Gesicht, das Griet mit Unbehagen erfüllte. Sie brauchte
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