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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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Gültigkeit verloren; und alles um ihn herum war schattenähnlich und unwirklich. Selbst die Wände schienen wie Rauch zu schwanken; die Menschen auf den Straßen glichen Schemen von Schemen; und er selbst war ein verlorener Schatten, ein umherwanderndes Echo von etwas, das schon lange vergessen war.
    Er fasste den Entschluss, seinen Versuch mit dem Kristall nicht zu wiederholen. Die Folgen wären zu unangenehm und fragwürdig. Doch bereits am nächsten Tag folgte er einem unvernünftigen inneren Antrieb, dem er sich fast mechanisch und ohne Widerstand ergab, und fand sich vor der neblichten Kugel wieder. Erneut wurde er zu dem Zauberer Zon Mezzamalech im Reich Mhu Thulan; wieder träumte er davon, das Wissen der vorweltlichen Götter zu erlangen; wieder zog er sich von dem vertiefenden Kristall mit dem Entsetzen eines Menschen zurück, der zu fallen befürchtet; und einmal mehr – doch voller Zweifel und undeutlich wie ein blasses Gespenst – war er Paul Tregardis.
    An drei aufeinanderfolgenden Tagen wiederholte Tregardis diese Erfahrung und jedes Mal waren seine eigene Person und die ihn umgebende Welt danach dürftiger und wirrer als zuvor. Seine Empfindungen waren wie jene eines Träumenden am Rande des Erwachens; und London selbst war unwirklich wie die Länder, die aus des Träumers Gesichtskreis gleiten und in trüben Nebel und wolkiges Licht entweichen. Hinter alledem fühlte er das Dräuen und Drängen gewaltiger Bilderwelten, fremd und doch halbwegs vertraut. Es schien, als löse sich die Fantasmagorie aus Raum und Zeit um ihn herum auf, um eine wahrhaftigere Wirklichkeit zu offenbaren – oder einen weiteren Traum von Zeit und Raum.
    Endlich kam der Tag, da er sich vor den Kristall setzte – und nicht mehr als Paul Tregardis zurückkehrte. Es war dies der Tag, da Zon Mezzamalech, der kühn gewisse böse und unheilvolle Warnungen außer Acht ließ, sich dazu entschloss, seine sonderbare Furcht zu überwinden, körperlich in jene visionäre Welt zu stürzen, die er schaute – eine Furcht, die ihn bislang davon abgehalten hatte, dem rückwärtigen Zeitenstrom auch nur ein Stück weit zu folgen. Er musste, so versicherte er sich, seine Angst besiegen, wollte er je die verlorenen Tafeln der Götter schauen und lesen. Er hatte bisher lediglich einige Bruchstücke der Jahre von Mhu Thulan unmittelbar vor der Gegenwart – den Jahren seines eigenen Lebens – gesehen, und es lagen unschätzbare Zeitenläufe zwischen diesen Jahren und dem Anfang.
    Wieder gewann der Kristall unter seinem Blick unermessliche Tiefen, und Szenen und Geschehnisse flossen in einem rückläufigen Strom dahin. Wieder entschwanden die magischen Schriftzeichen auf dem dunklen Tisch seiner Sicht und die zauberisch geschnitzten Wände seines Gemachs verschmolzen zu weniger als einem Traum. Erneut überkam ihn schrecklicher Schwindel, als er sich über das Wirbeln und Kreisen der entsetzlichen Schluchten der Zeit in der weltengleichen Kugel neigte.
    Ängstlich wollte er sich ungeachtet seines Entschlusses zurückziehen; doch hatte er zu lange hineingesehen und sich vornüber geneigt. Ein Gefühl abgrundtiefen Fallens ergriff ihn, ein Saugen wie von unentrinnbaren Winden, von Mahlströmen, die ihn durch flüchtige, unstete Visionen seines eigenen vergangenen Lebens in die Jahre und Dimensionen vor seiner Geburt hinabrissen. Er schien die Qualen einer umgekehrten Auflösung zu erleiden; und dann war er nicht länger Zon Mezzamalech, der weise und gelehrte Betrachter des Kristalls, sondern ein tatsächlicher Teil des unheimlich dahinrasenden Stromes, der rückwärts lief, um erneut den Anfang zu erreichen.
    Er schien ungezählte Leben zu leben, zahllose Tode zu sterben, und jedes Mal vergaß er den Tod und das Leben, die vorangegangen waren. Er kämpfte als Krieger in halb legendären Schlachten; er spielte als Kind zwischen den Ruinen einer uralten Stadt in Mhu Thulan; er war der König, der die Stadt in ihrer Blütezeit beherrschte; der Prophet, der von der Gründung und dem Niedergang dieser Stadt kündete. Als Frau weinte er um die dahingegangenen Toten in lange verfallenen Nekropolen; als altertümlicher Magier raunte er die groben Flüche der frühen Zauberkunst; als Priester eines vormenschlichen Gottes schwang er das Opfermesser in Tempelhöhlen aus Basaltsäulen. Leben um Leben, Zeitalter um Zeitalter verfolgte er die langen und sich vorwärtstastenden Zyklen zurück, in denen Hyperborea aus der Barbarei zu einer Hochkultur

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