Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
es mir beliebt, sie heimzurufen an den Ort, wohin sie gehören. Der Dieb war auch mager und knochig und ich hab gut daran getan, ihn ziehen zu lassen. Denn nun wird mir an seiner statt ein fleischiger und gut gemästeter Wucherer serviert.«
In seinem wachsenden Entsetzen war Avoosl Wuthoqquan kaum fähig, diese Worte zu begreifen oder ihre versteckte Bedeutung zu erfassen. Langsam, aber stetig war er in den bodenlosen Glitzerhaufen eingesunken; und grüne, gelbe, rote und violette Edelsteine umspielten schillernd seine Brust und quollen mit leisem Klirren unter den Achseln hervor.
»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«, kreischte er. »Ich werde verschlungen!«
Mit einem sardonischen Grinsen und einem Lecken seines weißlich, fetten, gespaltenen Zungenendes glitt das sonderbare Wesen mit knochenloser Geschmeidigkeit von dem Plateau herab. Und indem es seinen weichen Leib flach über den Juwelenpfuhl breitete, sodass es kaum darin einsank, glitschte es zu einer Stelle hin, die den vor Angst schlotternden Wucherer in Reichweite seiner Krakententakel brachte. Es befreite ihn mit einer einzigen, unfassbar raschen Bewegung. Dann begann es ohne Säumen und Zieren und ohne ein weiteres Wort, ihn langsam und bedächtig aufzufressen.
Ubbo-Sathla
Denn Ubbo-Sathla ist der Ursprung und das Ende. Vor der Ankunft von Zhothaqquah oder Yok-Zothoth oder Kthulhut von den Sternen hauste Ubbo-Sathla in den dampfenden Mooren der neu erschaffenen Erde: eine Masse ohne Kopf und Gliedmaßen, welche die grauen, gestaltlosen Molche der Urzeit und die grausigen Urbilder irdischen Lebens ausbrütete. … Und alles irdische Leben, so heißt es, wird schließlich über den großen Kreislauf der Zeit zu Ubbo-Sathla zurückkehren.
Das Buch des Eibon
Paul Tregardis entdeckte den milchigen Kristall inmitten einer Unmenge sonderbarer Dinge aus vielen Ländern und Zeiten. Er hatte den Laden des Kuriositätenhändlers auf einen ziellosen Impuls hin betreten, ohne etwas im Sinn zu haben, außer der müßigen Ablenkung, ein Sammelsurium entlegener Raritäten zu betrachten und zu berühren. Als er sich planlos umgesehen hatte, war seine Aufmerksamkeit auf einen matten Schimmer auf einem der Tische gelenkt worden, und er hatte den merkwürdigen, kugelförmigen Stein aus seiner schattenumflorten, bedrängten Lage zwischen einem hässlichen, kleinen Aztekengötzenbild, dem versteinerten Ei eines Dinornis und einem obszönen Fetisch aus schwarzem Holz vom Niger befreit.
Der Gegenstand hatte die ungefähre Größe einer kleinen Orange und war an den zwei Seiten ein wenig flacher, wie ein Planet an den Polen. Er verwirrte Tregardis, denn er glich keinem gewöhnlichen Kristall: Er war milchig und wechselhaft, und in seinem Herzen leuchtete er stoßweise, als werde er abwechselnd aus dem Innern heraus erhellt und verfinstert. Tregardis hielt ihn vor das winterliche Fenster und betrachtete ihn eine Weile, ohne das Geheimnis dieser einzigartigen und stetig wiederkehrenden Veränderung ergründen zu können. Seine Verwirrung wurde bald durch ein heraufdämmerndes Gefühl einer vagen und unbestimmten Vertrautheit verstärkt, als habe er das Ding zuvor schon einmal unter Umständen gesehen, die nun gänzlich vergessen waren.
Er wandte sich an den Kuriositätenhändler, einen zwerghaften Hebräer mit der Ausstrahlung staubigen, ehrwürdigen Alters, der den Eindruck erweckte, in einem Netz kabbalistischer Träumerei kaufmännischen Erwägungen erlegen zu sein.
»Können Sie mir hierüber Auskunft geben?«
Der Händler zuckte auf unbeschreibliche Weise zugleich mit den Achseln und den Augenbrauen.
»Er ist sehr alt – paläogen, könnte man sagen. Ich kann Ihnen nicht viel darüber erzählen, denn nur wenig ist bekannt. Ein Geologe fand ihn in Grönland unter Gletschereis, in der Miozän-Schicht. Wer weiß? Er mag einem Zauberer im Thule der Vorzeit gehört haben. Grönland war im Miozän ein warmes, fruchtbares Gebiet unter der Sonne. Ohne Zweifel ist dies ein magischer Kristall; und ein Mann vermag sonderbare Dinge in seinem Herzen zu schauen, blickt er nur lange genug hinein.«
Tregardis war recht bestürzt, denn des Händlers scheinbar überspannte Andeutung hatte ihm seine eigenen Erkundungen auf dem Gebiet obskurer Lehren ins Gedächtnis gerufen; und insbesondere hatte er sich an das Buch des Eibon erinnert, jener sonderbarsten und seltensten der vergessenen Schriften des Okkulten, die, so heißt es, über den Umweg vieler Übersetzungen von einem vorzeitlichen
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