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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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Original herrührt, verfasst in der verlorenen Sprache der Hyperboreer. Tregardis hatte unter großen Schwierigkeiten die Version in mittelalterlichem Französisch erworben – ein Exemplar, das Generationen von Zauberern und Satansanbetern gehört hatte –, doch war es ihm nicht gelungen, die griechische Handschrift zu finden, die seiner Fassung zugrunde lag.
    Das lang verschollene, sagenhafte Original war, so mutmaßte man, das Werk eines großen Magiers aus Hyperborea, von dem es den Namen hatte. Es war eine Sammlung finstrer und unheilvoller Mythen, von Liturgien, Ritualen und Anrufungen, zugleich böse und esoterisch. Nicht ohne Erschauern hatte Tregardis im Verlauf seiner Studien, welche eine durchschnittliche Person für mehr als eigenartig befunden hätte, den französischen Band mit dem fürchterlichen Necronomicon des verrückten Arabers Abdul Alhazred verglichen. Er hatte viele Übereinstimmungen von schwärzester und widerlichster Bedeutsamkeit entdeckt, ebenso viele verbotene Angaben, welche dem Araber entweder nicht bekannt gewesen waren oder die er – oder seine Übersetzer – unterschlagen hatten.
    War es dies, woran er sich zu erinnern versucht hatte, fragte sich Tregardis – der kurze, unbestimmte Verweis im Buch des Eibon auf einen milchigen Kristall, welcher dem Magier Zon Mezzamalech in Mhu Thulan gehört hatte? Gewiss, dies alles war zu fantastisch, zu hypothetisch, zu unglaublich – doch Mhu Thulan, jener nördliche Teil des alten Hyperborea, sollte angeblich grob mit dem heutigen Grönland übereinstimmen, welches früher als Halbinsel mit dem Hauptkontinent verbunden gewesen war. Konnte der Stein in seiner Hand durch einen sagenhaften Zufall der Kristall des Zon Mezzamalech sein?
    Tregardis lächelte voll innerlicher Ironie über sich selbst, diesen absurden Gedanken überhaupt entwickelt zu haben. Solche Dinge geschahen einfach nicht – zumindest nicht im heutigen London; und aller Wahrscheinlichkeit nach war das Buch des Eibon ohnehin reine abergläubische Fantasie. Dennoch hatte der Kristall etwas an sich, das ihn weiterhin reizte und verlockte. Es endete damit, dass er ihn zu einem moderaten Preis erwarb. Die Summe wurde vom Verkäufer genannt und vom Käufer bezahlt, ohne zu feilschen.
    Mit dem Kristall in der Tasche eilte Paul Tregardis zurück in seine Unterkunft, anstatt sein gemütliches Umherbummeln wieder aufzunehmen. Er stellte die milchige Kugel auf seinen Schreibtisch, wo sie auf einem ihrer flachen Enden festen Halt fand. Dann, noch immer über seinen absurden Gedanken lächelnd, nahm er das gelbe Pergamentmanuskript des Buches des Eibon von seinem Platz innerhalb einer fast allumfassenden Sammlung ausgesuchter Literatur. Er öffnete den wurmzerfressenen Ledereinband mit den Schließspangen aus mattem Stahl und las sich selbst vor, wobei er eben den Absatz aus dem altertümlichen Französisch übersetzte, der sich auf Zon Mezzamalech bezog:
    »Dieser Magier, der unter den Zauberern der mächtigste war, hatte einen milchigen Stein gefunden, kugelgleich und an zwei Seiten flach, in welchem er Gesichte der irdischen Vergangenheit schauen konnte, selbst bis zum Anfang der Welt, als Ubbo-Sathla, der ungezeugte Ursprung, gewaltig und geschwollen und gärend inmitten des dampfenden Schleims lag … Doch von dem, was er geschaut, hinterließ Zon Mezzamalech nur wenig Kunde; und die Menschen sagen, er sei bald darauf auf unbekannte Weise verschwunden; und nach ihm ging auch der milchige Kristall verloren.«
    Paul Tregardis legte das Manuskript beiseite. Wiederum war da etwas, das ihn quälte und betörte wie ein verlorener Traum oder eine Erinnerung, die dem Vergessen anheimfiel. Gedrängt von einem Gefühl, das er nicht prüfte oder hinterfragte, setzte er sich an den Tisch und fing an, aufmerksam in die kalte, neblige Kugel zu starren. Er verspürte eine Erwartung, die irgendwie so vertraut war, ein so durchdringender Teil seines Bewusstseins, dass er sie nicht einmal vor sich selbst benannte.
    Minute um Minute saß er da und beobachtete das Wechselspiel von Aufleuchten und Verlöschen des geheimnisvollen Lichtes im Herzen des Kristalls. In unmerklichen Abstufungen überkam ihn ein Gefühl traumähnlicher Zweiheit seiner selbst und seiner Umgebung. Er war nach wie vor Paul Tregardis – und doch war er ein anderer; das Zimmer befand sich nach wie vor in seiner Londoner Wohnung – und war doch eine Kammer an einem fremden, aber wohlbekannten Ort. Und in beiden Umgebungen blickte

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