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Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1

Titel: Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Ashton Smith
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er unverwandt in denselben Kristall.
    Nach einer Weile war der Vorgang des Persönlichkeitswechsels ohne Überraschung für Tregardis vollendet. Er wusste, dass er Zon Mezzamalech war, ein Zauberer aus Mhu Thulan und ein Erforscher aller Lehren, die seiner Zeit vorangingen. Erfüllt von dem Wissen um schreckliche Geheimnisse, die Paul Tregardis, dem Laien auf dem Gebiet der Anthropologie und der okkulten Wissenschaften im späteren London, nicht bekannt waren, strebte er danach, mithilfe des milchigen Kristalls ein noch älteres und furchtbareres Wissen zu erlangen.
    Er hatte den Stein auf zweifelhafte Weise in seinen Besitz gebracht, ihn aus einer mehr als finsteren Quelle bezogen. Der Stein war einzigartig und ohne seinesgleichen in irgendeinem Land oder irgendeiner Zeit. In seinen Tiefen ruhten der Sage nach alle früheren Jahre gespiegelt, alle Dinge, die je gewesen, und würden sich dem geduldigen Betrachter offenbaren. Und durch den Kristall, so war es Zon Mezzamalechs Traum, wollte er die Weisheit der Götter erlangen, die vor Erschaffung der Erde gestorben waren. Sie waren in den lichtlosen Abgrund eingegangen und hatten ihre Lehren auf Tafeln aus ultrastellarem Gestein hinterlassen; und diese Tafeln wurden im Ursumpf von dem gestaltlosen, idiotischen Demiurgen Ubbo-Sathla behütet. Nur mithilfe des Kristalls konnte Zon Mezzamalech hoffen, die Tafeln zu finden und zu lesen.
    Zum ersten Male erprobte er die berühmten Eigenschaften der Kugel. Um ihn herum entschwand ein elfenbeingetäfeltes Gemach voller magischer Bücher und Utensilien allmählich aus seinem Bewusstsein. Vor ihm, auf einem Tisch aus dunklem hyperboreischem Holz, in das sonderbare Zeichen eingeritzt waren, schien der Kristall anzuschwellen und sich zu vertiefen, und in seinen trüben Abgründen erblickte er einen raschen und gebrochenen Wirbel düsterer Szenen, die wie Blasen eines Mühlgerinnes vorüberschwebten. Als blicke er auf eine wirkliche Welt, strömten Städte, Wälder, Berge, Seen und Weiden an ihm vorbei, erhellt und verfinstert vom Ablauf der Tage und Nächte in einem merkwürdig beschleunigten Fluss der Zeit.
    Zon Mezzamalech hatte Paul Tregardis vergessen – hatte die Erinnerung an seine eigene Identität und seine Umgebung in Mhu Thulan verloren. Mit jedem Augenblick wurde die fließende Vision in dem Kristall bestimmter und deutlicher, und die Bilder in der Kugel gewannen an Tiefe, bis ihm schwindelte, als spähe er aus unsicherer Höhe in einen unermesslichen Abgrund. Er wusste, dass die Zeit in dem Kristall rückwärts raste und für ihn das Schauspiel aller vergangenen Tage entrollte; doch eine sonderbare Angst hatte ihn ergriffen, und er fürchtete sich davor, weiter hineinzusehen. Wie jemand, der fast von einer Klippe gefallen wäre, fing er sich mit einem heftigen Ruck ein und zog sich aus der mystischen Kugel zurück.
    Vor seinen Augen wurde die gewaltige, wirbelnde Welt, in welche er geblickt hatte, wieder zu einem kleinen und geäderten Kristall auf dem runenverzierten Tisch in Mhu Thulan. Dann schien sich der große Raum mit seinen Relieftafeln aus Mammutelfenbein nach und nach zu einem anderen und schäbigeren Ort zu verkleinern; und Zon Mezzamalech verlor seine übernatürliche Weisheit und magische Kraft und wurde über eine sonderbare Rückentwicklung wieder zu Paul Tregardis.
    Und doch, so schien es, konnte er nicht gänzlich zurückkehren. Tregardis fand sich benommen und verstört vor dem Schreibtisch, auf den er die an zwei Seiten abgeflachte Kugel gestellt hatte. Er verspürte die Verwirrung von jemandem, der geträumt hat und aus diesem Traum noch nicht völlig erwacht ist. Das Zimmer irritierte ihn ein wenig, als könne mit dessen Größe und Einrichtung etwas nicht stimmen; und seine Erinnerung daran, den Kristall bei einem Kuriositätenhändler erstanden zu haben, war auf merkwürdige und widersprüchliche Weise mit dem Eindruck vermischt, den Stein auf einem gänzlich anderen Weg erworben zu haben.
    Er spürte, dass etwas sehr Sonderbares mit ihm geschehen war, als er in den Kristall geblickt hatte; doch was genau das gewesen war, dessen schien er sich nicht entsinnen zu können. Es hatte ihn in einer Art seelischen Benebelung zurückgelassen, wie sie auf eine Haschischorgie folgt. Er versicherte sich selbst, dass er Paul Tregardis sei, dass er in einer Straße Londons wohne, dass man das Jahr 1933 schreibe; aber solche abgedroschenen Wahrheiten hatten auf irgendeine Weise ihre Bedeutung und ihre

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