Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
dem das hohe Lachen teuflischer Stimmen. Der Wind aus dem Norden peitschte wie wahnsinnig seine viereckigen Türme, und die Vögel wurden wie Herbstlaub gegen die robusten Fenster geschleudert, und Teufel schienen an den Granitwänden zu reißen und zu zerren. Obgleich Türen und Fenster des Raumes fest verschlossen waren, durchwehte ihn ein eisiger Windstoß, der den Tisch, an dem Evagh saß, umkreiste und ihm die großen Pergamente Pnoms aus den Fingern riss und am Licht der Lampe zerrte.
Mit erstarrten Gedanken versuchte er, sich an jenen Zauber zu erinnern, der gegen die Geister des Nordens am wirkungsvollsten ist, doch umsonst. Dann schien der Wind merkwürdigerweise abzuflauen und eine große Stille im und ums Haus zu hinterlassen. Die eisige Böe war fort aus dem Raum, die Lampe und das Feuer brannten unbeirrt, und ein wenig Wärme kehrte zurück ins halb gefrorene Mark Evaghs.
Bald bemerkte er ein Licht, das vor dem Fenster seiner Kammer strahlte, als sei der Mond zu spät über den Klippen aufgegangen. Doch Evagh wusste, dass der Mond zu jener Zeit nur eine dünne Sichel war, die mit dem Abend versank. Es schien, als käme das Licht aus dem Norden, so fahl und kalt wie Eisesfeuer, und als er ans Fenster trat, sah er einen breiten Strahl, der übers Meer reichte und vom verborgenen Pol zu kommen schien. In diesem Licht wirkten die Felsen blasser als Marmor, der Sand weißer als Meersalz und die Katen der Fischer wie gekalkte Grabmäler. Der ummauerte Garten Evaghs wurde von dem Strahl voll erfasst, und alles Grün wich aus dem Laub, und die Blüten waren wie Blumen aus Schnee. Und der Strahl fiel auf die untere Mauer seines Hauses, ließ die obere Kammer, aus welcher er hinaussah, jedoch noch im Schatten.
Er glaubte, der Strahl käme aus einer fahlen Wolke über dem Rand des Meeres oder aber von einem weißen Gipfel, der sich in den Nachthimmel erhob, doch er wusste es nicht sicher. Er sah zu, wie der Schein immer höher in den Himmel stieg, an seiner Wand aber nicht hinaufkletterte. Als er umsonst die Bedeutung dieses Mysteriums zu erfassen suchte, hörte er in der Luft, die ihn umgab, eine süße und zauberhafte Stimme. Und diese Stimme, die in einer unbekannten Zunge sprach, beschwor eine Rune des Schlafes. Und Evagh konnte dieser Rune nicht widerstehen, und ihn überkam ein solch tiefer Schlaf, wie er den erschöpften Wächter im Schnee befällt.
Mit steifen Gliedern erwachte er im Morgengrauen, erhob sich vom Boden, auf dem er gelegen hatte, und wurde Zeuge eines sonderbaren Schauspiels. Denn siehe, im Hafen erhob sich ein Eisberg, wie noch kein Schiff ihm im Norden begegnet war und von dem keine Legende der Völker der finsteren Inseln Hyperboreas kündete. Er nahm den ganzen Hafen ein, von einem Strand zum anderen, und erwuchs zu einer unermesslichen Größe. Dieser Eisberg war versehen mit unzähligen Steilabbrüchen und Klippen, und sein Gipfel erhob sich in den Himmel, weit über dem Hause Evaghs. Er war höher als der gefürchtete Berg Achoravomas, der feurige Ströme und flüssiges Gestein von sich gibt, die sich unlöschbar durch Tscho Vulpanomi wälzen, bis sie das südliche Meer erreichen. Er war steiler als der Berg Yarak, der sich am Nordpol erhebt, und von seiner Spitze fiel ein fahler Schimmer auf das Meer und das Land. Tödlich und schrecklich war dieser Schimmer, und Evagh wusste, dass dies das Licht war, welches er in der Finsternis gesehen hatte.
Wegen der Kälte, welche die Luft erfüllte, vermochte er kaum zu atmen, und das Licht des gewaltigen Eisbergs blendete seine Augen mit außerordentlichem Strahlen. Und doch nahm er etwas Merkwürdiges wahr: Die Strahlen fielen ungerade auf beide Seiten seines Hauses, und die im Erdgeschoss liegenden Kammern, in denen Ratha und Ahilidis ruhten, wurden nicht mehr von dem Licht berührt wie noch in der Nacht. Und auf dem Haus selbst lagen nur die frühen Strahlen der Sonne und die Schatten des Morgens.
An der Küste unter ihm sah er die verkohlten Überreste der gestrandeten Galeere, und inmitten dieser die weißen Toten, denen das Feuer nichts hatte anhaben können. Und überall auf dem Sand und den Felsen lagen oder standen regungslos die Fischer, als wären sie aus ihren Verstecken gekrochen, um das fahle Licht zu betrachten und von ihm in magischen Schlaf versetzt zu werden. Und der Hafen und die gesamte Küste sowie der Garten Evaghs, bis hin zur Schwelle seines Hauses, sahen aus, als seien sie mit dickem Frost bedeckt.
Wieder
Weitere Kostenlose Bücher