Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
großen Insel Thulask hat er verschont und auf Yikilth aufgenommen, um mit ihm das Meer zu bereisen. Er hat unser Fleisch abgehärtet, um der Rauheit seiner Wohnstatt standzuhalten, und machte die Luft für uns atembar, die kein Sterblicher atmen kann. Auch dich hat er verschont und durch seinen Zauber an die Kälte und den dünnen Äther Yikilths gewöhnt. Heil, o Evagh, den wir durch dieses Zeichen als großen Magier erkennen, denn nur die mächtigsten Hellseher werden dazu auserwählt.«
Evagh war sehr verwirrt, doch da er nun wusste, dass er es mit Männern wie ihm selbst zu tun hatte, stellte er den zwei Zauberern von Thulask viele Fragen. Ihre Namen waren Dooni und Ux Loddhan, und sie waren kundig in den Lehren der alten Götter. Der Name ihres Herren war Rlim Shaikorth und er wohnte im höchsten Gipfel des Eisberges. Sie sagten Evagh nichts von dem Wesen und den Gaben Rlim Shaikorths, und was ihren Dienst an diesem Geschöpf betraf, so bekannten sie nur, dass sie ihn wie einen Gott verehrten und alle Bande mit den Menschen verworfen hatten. Und sie sagten Evagh, dass er mit ihnen vor Rlim Shaikorth treten solle, um den angemessenen Ritus der Unterwerfung auszuführen und die Fessel der endgültigen Entfremdung anzunehmen.
Und so ging Evagh mit Dooni und Ux Loddhan, und sie führten ihn auf einen gewaltigen Gipfel aus Eis, der sich der fahlen Sonne entgegenstreckte, ohne zu schmelzen, und der alle anderen Gipfel auf der Bergspitze überragte. Der Gipfel war hohl, und nachdem sie Stufen aus Eis erstiegen hatten, kamen sie schließlich zur Kammer von Rlim Shaikorth, einer kreisförmigen Kuppel, in deren Mitte ein runder Block stand, der ein Podest darstellte. Und auf diesem Podest lag jenes Wesen, dessen Ankunft der Prophet Lith in dunklen Worten vorhergesagt hatte.
Beim Anblick dieses Wesens setzte Evaghs Herz einen Augenblick lang vor Schreck aus, und auf diesen Schreck folgte rasch ein Übermaß an Ekel. Auf der ganzen Welt gab es nichts, das Rlim Shaikorth an Widerwärtigkeit gleichkam. Er glich einem dicken weißen Wurm, doch sein Umfang war größer als der eines See-Elefanten. Sein halb zusammengerollter Schwanz war so dick wie der mittlere Teil seines Leibes, und sein Vorderteil erhob sich vom Podest in Form einer weißen runden Scheibe, auf welcher undeutlich die Züge eines Antlitzes zu sehen waren, welches weder das eines Landtieres noch das einer Kreatur des Meeres war. Und inmitten dieses Gesichtes krümmte sich unsauber von einer Seite der Scheibe zur anderen ein Maul, das sich unablässig öffnete und schloss und eine bleiche Höhle ohne Zunge und Zähne enthüllte. Die Augenhöhlen Rlim Shaikorths lagen nah beisammen und zwischen ihnen befanden sich die flachen Nüstern. In diesen Höhlen saßen keine Augen, sondern es erschienen darin immer wieder Kugeln einer blutfarbenen Flüssigkeit in der Form von Augäpfeln, und ständig barsten diese Kugeln und tropften vor das Podest. Und vom eisigen Boden des Kuppelsaales erhoben sich zwei Säulen wie Stalagmiten, scharlachrot und dunkel wie gefrorenes Blut, und diese Säulen waren durch das stete Tropfen der Kugeln entstanden.
Dooni und Ux Loddhan warfen sich vor diesem Wesen zu Boden, und Evagh hielt es für angebracht, ihrem Beispiel zu folgen. Als er mit dem Gesicht auf dem Eise lag, hörte er das Fallen der roten Tropfen, als seien es gewaltige Tränen, und dann schien in der Kuppel über ihm eine Stimme zu sprechen, und diese Stimme klang wie ein verborgener Wasserfall in einem höhlenreichen Eisberg.
»Höre, o Evagh«, sagte die Stimme. »Ich habe dich von dem Schicksal deiner Mitmenschen ausgenommen und dich zu einem gemacht, der leben kann im Reich der Kälte und atmen in diesem Abgrund ohne Luft. Unermessliche Weisheit soll dein sein, und Meisterschaft jenseits der Kunst der Sterblichen, wenn du mich nur anbetest und mein Knecht wirst. Mit mir sollst du die Königreiche des Nordens bereisen und die grünen Inseln des Südens, und du sollst sehen, wie das weiße Licht des Todes von Yikilth auf sie herabfällt. Unsere Ankunft soll ewigen Frost in ihre Gärten bringen und dem Fleisch der Menschen das Siegel jenes Abgrundes aufdrücken, dessen Kälte die glühendsten Sterne erblassen lässt und den Kern der Sonne mit Raureif bedeckt. All dies sollst du sehen als einer der Herren des Todes, erhaben und unsterblich, und schließlich wirst du mit mir in jene Welt jenseits des äußersten Pols zurückkehren, wo mein ewiges Reich liegt. Denn ich
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