Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
und der Strom wurde heftiger und riss an ihm gleich heimtückischen Händen. Er hatte Furcht, die Treppe zu benutzen, und es gab auch keine Stelle im Kuppelsaal mehr, auf die er hätte klettern können. Er wandte sich um und kämpfte darum, in der Flut auf den Füßen zu bleiben, und sah durch die stinkenden Dämpfe hindurch undeutlich die Masse Rlim Shaikorths auf dem Podest. Wie durch Zauberhand hatte die Wunde sich erweitert, und ein Strom ergoss sich daraus wie Wasser aus einem gebrochenen Damm und umwogte das Podest. Und doch, wie um einen weiteren Beweis für die überirdische Natur des Wurmes zu liefern, verringerte seine Masse sich dadurch keineswegs. Und noch immer ergoss die schwarze Flüssigkeit sich in finsterer Flut und stieg bis zu Evaghs Knien, und die Dämpfe schienen die Gestalt unzähliger Schemen anzunehmen, die sich auf sonderbare Weise ineinander verwoben und wieder trennten, als sie an Evagh vorbeizogen. Dann, als er an der Treppe den Halt verlor, wurde er hinweggefegt und stürzte auf den Stufen aus Eis in den Tod.
An jenem Tag erblickten die Mannschaften einiger Handelsgaleeren auf dem Meer östlich von Hyperborea etwas Unglaubliches. Denn siehe, als sie nach Norden fuhren, auf der Rückreise von den weit entfernten Inseln im Ozean mit einem Wind, der ihre Ruderer unterstützte, sichteten sie am späten Vormittag einen ungeheuren Eisberg, dessen Gipfel und Klippen sich wie ein Gebirge erhoben. Der Eisberg erstrahlte in unheimlichem Licht, und von dem höchsten Gipfel ergoss sich eine tintenschwarze Flut, und all die eisigen Klippen darunter waren überflutet von Sturzbächen und Strömen derselben Schwärze, die wie kochendes Wasser dampfte, als sie ins Meer floss. Und das Meer um den Berg war im weiten Umkreis bewölkt und gestreift wie vom dunklen Saft des Tintenfischs.
Die Matrosen fürchteten sich näher zu kommen, doch voll Erstaunen und Verwunderung ließen sie die Ruder ruhen und beobachteten den Berg. Und der Wind ließ nach, sodass die Galeeren den ganzen Tag über in Sichtweite trieben. Sie sahen, wie der Berg rasch kleiner wurde und schmolz, als würde ein unsichtbares Feuer ihn verzehren, und die Luft war sonderbar warm, ebenso das Wasser um ihre Schiffe. Klippe um Klippe wurde das Eis zu Rinnsalen, und größere Teile fielen mit gewaltigem Platschen ab, und schließlich brach der Gipfel in sich zusammen, doch noch immer ergoss sich die Schwärze wie aus einer unermesslichen Quelle. Zuweilen glaubten die Zuschauer, Häuser zu sehen, die zusammen mit den Eisstücken ins Meer stürzten, doch sie waren sich der aufsteigenden Dämpfe wegen nicht sicher. Als die Sonne unterging, war der Berg bis auf die Größe einer gewöhnlichen Eisscholle geschmolzen, und doch wurde er noch immer von dem schwarzen Strom bedeckt, und schließlich sank er unter die Wellen, und das sonderbare Licht verlosch. Danach – denn die Nacht war mondlos – gab es nichts mehr zu sehen, und eine starke Brise aus dem Süden regte sich, und im Morgengrauen trug das Meer keinerlei Spuren mehr.
Über die oben erzählten Begebenheiten haben sich viele unterschiedliche Legenden in Mhu Thulan und den äußersten Königreichen und Inselgruppen Hyperboreas verbreitet, selbst bis zum südlichsten Eiland Oszhtror. Die Wahrheit liegt nicht in diesen Legenden, denn kein Mensch kannte vordem die Wahrheit. Doch ich, der Zauberer Eibon, der ich durch meine nekromantischen Künste den wandernden Schemen Evaghs beschwor, habe von ihm die wahrhaftige Geschichte der Ankunft des Wurmes erfahren. Und ich habe sie in meinem Buch niedergeschrieben, wobei ich alles ausließ, was für die Schwäche und Vernunft der Sterblichen gefährlich ist. Und diesen Bericht werden Menschen lesen, ebenso vieles andere der alten Lehre, in Zeiten lange nach der Ankunft und der Schmelze des Großen Gletschers.
Der Raub der neununddreißig Keuschheitsgürtel
Dieser Geschichte sei vorangeschickt, dass ich niemanden beraubt habe, der nicht seinerseits auf irgendeine Weise Raub an anderen verübte. Während meiner gesamten langen und aufreibenden Laufbahn war ich, Satampra Zeiros von Uzuldarum, auch als der Meisterdieb bekannt, immer bestrebt, lediglich als ausführende Kraft bei der gerechten Umverteilung von Reichtum zu dienen. Das Abenteuer, das zu berichten ich mich anschicke, bildet hiervon keine Ausnahme – obwohl mein eigener geldwerter Gewinn daraus sich am Ende als wahrlich bescheiden, um nicht zu sagen als erbärmlich erwies.
Ich bin jetzt
Weitere Kostenlose Bücher