Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
alt. Und der Muße ergeben, auf die ich mir in vielen Gefahren ein Anrecht erworben habe, koste ich die Weine, die das Alter versüßen. Während ich den Becher an die Lippen führe, kehren Erinnerungen an reiche Beute und kühne, ruchlose Taten zurück. Vor mir ausgegossen schimmert der Inhalt ganzer Geldsäcke voller Djals und Pazoors, die so meisterlich aus den Truhen halsabschneiderischer Kaufherren und Geldverleiher entwendet wurden. Ich träume von Rubinen röter als das Blut, das für sie vergossen wurde … von Saphiren blauer als das Eis von Gletschern … von Smaragden grüner als der Dschungel im Frühling. In denke zurück an das Übersteigen von Balkongittern mit messerscharfen Spitzen … an das Erklimmen von Terrassen und Türmen, die von Ungeheuern bewacht werden … an die Plünderung von Altären unter den Augen unheilvoller Götzen oder Wächterschlangen.
Oft denke ich an Vixeela, meine einzig wahre Liebe. Vixeela war die geschickteste und mutigste unter all meinen Diebsgefährten. Sie ist längst schon in die Ewigkeit aller guten Diebe und Kameraden eingegangen – in all den Jahren, die seither verstrichen, habe ich sie aufrichtig betrauert. Doch noch immer lebt in meinem Herzen die Erinnerung an unsere Nächte voller Liebe und Wagnisse und an die Bravourtaten, die wir gemeinsam vollbrachten. Unter diesen Meisterstücken war das vielleicht größte und verwegenste der Raub der neununddreißig Keuschheitsgürtel.
Bei diesen Beutestücken handelte es sich um die goldenen und juwelenbesetzten Keuschheitsgürtel, die die Jungfrauen trugen, die der Mondgöttin Leniqua geweiht waren. Der Tempel der Göttin hatte seit unvordenklichen Zeiten im Randbezirk von Uzuldarum, der Hauptstadt Hyperboreas, gestanden. Die Jungfrauen waren allzeit neununddreißig an der Zahl. Sie wurden aufgrund ihrer Jugend und Schönheit ausgewählt und schieden im Alter von einunddreißig Jahren aus dem Dienst an der Göttin aus.
Die Keuschheitsgürtel wurden mit Schlössern aus gehärteter Bronze gesichert, deren Schlüssel der Hohepriester in Verwahrung hielt. In gewissen Nächten verlieh er sie zu saftigen Preisen an die betuchteren Kavaliere der Stadt. Daraus erhellt sich, dass die Jungfräulichkeit der Priesterinnen nur symbolisch war. Doch galt die häufige und regelmäßige Veräußerung ihrer Keuschheit als verdienstvolle Opferhandlung gegenüber der Göttin.
Vixeela hatte selbst einmal zu diesen Jungfrauen gehört. Doch war sie einige Jahre vor der Erreichung des priesterlichen Alters zur Beendigung ihrer Unfreiheit aus dem Tempel und aus Uzuldarum geflohen. Von ihrem Leben im Tempel hatte sie mir kaum etwas erzählt. Ich vermutete, dass die Tempelprostitution ihr wenig Vergnügen bereitet und dass die damit verbundene Gefangenschaft sie zermürbt hatte. Nach ihrer Flucht musste sie in den Städten des Südens manche Unbill erleiden. Auch davon sprach sie nur wenig, wie ein Mensch, der die Erneuerung schmerzlicher Erinnerungen fürchtet.
Wenige Monate vor unserer ersten Begegnung war sie nach Uzuldarum zurückgekehrt. Sie hatte die Altersgrenze nun knapp überschritten und ihr rostrotes Haar rabenschwarz gefärbt, sodass sie kaum noch befürchten musste, von den Priestern der Mondgöttin erkannt zu werden. Ihrem Brauch gemäß hatten die Priester Vixeela augenblicklich durch ein neues, blutjunges Mädchen ersetzt. Sie würden also wenig Interesse an einer Priesterin bezeigen, die schon seit so langer Zeit abtrünnig war.
Zum Zeitpunkt unseres Zusammentreffens hatte Vixeela sich bereits an verschiedenen kleinen Diebstählen versucht. Ungeübt wie sie war, hatte sie jedoch außer den leichteren und gefahrloseren keinen davon erfolgreich zu Ende gebracht und war vor lauter Hunger stark abgemagert. Aber sie wirkte noch immer anziehend und die Schärfe ihres Verstandes sowie ihre rasche Auffassungsgabe gewannen ihr schnell meine Gunst. Sie war klein und gewandt und konnte klettern wie ein Affe. Schon bald fand ich ihre Hilfe unentbehrlich, da sie durch Fenster und sonstige Öffnungen kriechen konnte, die meinem massigeren Körper keinen Durchschlupf boten.
Gemeinsam hatten wir schon mehrere lohnende Einbrüche verübt, als mir der Gedanke kam, in den Tempel der Mondgöttin einzudringen und sich mit den wertvollen Keuschheitsgürteln aus dem Staub zu machen. Die Schwierigkeiten, die ein solcher Diebeszug mit sich brachte, und die zu überstehenden Gefahren schienen auf den ersten Blick geradezu sagenhaft groß. Doch
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