Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
Gebirgsblumen, wilden Johannisbeersträuchern, ein paar stämmigen, windgekrümmten Kiefern und elastische Lärchen.
Zwar sprechen die Geologen diesem Grat einen vulkanischen Ursprung ab, doch sehen der zuweilen offen zutage liegende, nackte Fels und die gewaltigen Trümmerhalden – zumindest für mein unwissenschaftliches Auge – alle aus wie Lavagestein. Es wirkt wie die Schlacke eines gigantischen Glutofens, die sich zu einer Zeit, als auf der Erde noch keine Menschen lebten, an die Oberfläche ergoss, abkühlte und zu grenzenlos grotesken Formen erstarrte. Dort finden sich Steine, die wie Bruchstücke urzeitlicher Basreliefs aussehen oder an winzige prähistorische Götzenbilder und Figurinen erinnern; andere wiederum scheinen Inschriften zu tragen, Buchstaben einer längst vergessenen, nicht mehr entzifferbaren Schrift. Völlig unerwartet trifft man am Ende des langen, knochentrockenen Kammes auf einen kleinen Bergsee – einen Bergsee, dessen Tiefe nie ausgelotet wurde. Der Hügel bildet eine eigenartige Unterbrechung zwischen den Granitschichten und Felszacken, zwischen den tannenbestandenen Schluchten und Tälern dieser Region.
Es war ein klarer, windstiller Morgen, und ich hielt oft inne, um die großartige Aussicht auf die abwechslungsreiche Landschaft zu ringsherum zu genießen – auf die titanischen Felszinnen des Castle Peak; die rauen, von einem mit Schierlingstannen gesäumten Pass durchschnittenen Massive des Donner Peak; auf das ferne, leuchtende Blau der Berge Nevadas und das sanfte Grün der Weiden in dem Tal zu meinen Füßen. Es war eine entrückte, schweigende Welt. Der einzige Laut, den man hörte, war das trockene, knackende Zirpen der Zikaden in den Johannisbeersträuchern.
Ein gutes Stück weit wanderte ich kreuz und quer, und als ich schließlich an eines der Geröllfelder kam, von denen der Kamm hie und da übersät ist, fing ich an, sorgfältig den Boden abzusuchen. Ich hoffte, einen Stein zu finden, der eigentümlich und grotesk genug geformt war, um ihn als Kuriosität mitzunehmen. Bei meinen bisherigen Wanderungen hatte ich bereits mehrere solcher Steine gefunden. Unversehens gelangte ich inmitten der Gesteinstrümmer an eine freie Fläche, auf der nichts wuchs – sie war kreisrund, so als hätte jemand sie künstlich angelegt. In ihrer Mitte standen zwei einzelne, etwa eineinhalb Meter voneinander entfernte Felsblöcke, die sich auffallend ähnelten.
Ich blieb stehen, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Sie waren von einem matten, grünlichen Grau und schienen aus einem völlig anderen Material zu bestehen als das übrige Gestein ringsum. Eigentlich deutete nichts darauf hin, dennoch kam mir sofort der Gedanke, es könne sich nur um den Sockel längst verschwundener Säulen handeln, von Wind und Wetter im Lauf unzähliger Jahre abgetragen, bis nur noch diese im Erdreich versunkenen Stümpfe übrig geblieben waren. Es kam mir jedenfalls sonderbar vor, wie vollkommen rund und gleichförmig die beiden Blöcke waren, und obwohl ich durchaus etwas von Geologie verstehe, vermochte ich die glatte, specksteinartige Substanz nicht einzuordnen.
Meine Fantasie war in Aufruhr und ich erging mich in den kühnsten Vorstellungen, die jedoch bei Weitem nicht an das heranreichen, was passierte, als ich einen Schritt nach vorn machte und auf die freie Fläche unmittelbar zwischen den beiden Blöcken trat. Ich werde mich nach Kräften bemühen, zu beschreiben, was geschah – auch wenn es der menschlichen Sprache naturgemäß an Worten für eine angemessene Schilderung von Ereignissen und Gefühlen mangelt, die den Rahmen des Normalen sprengen.
Es gibt kaum etwas Beunruhigenderes, als sich dabei zu verschätzen, wenn man einen Fuß vor den anderen setzt. Damit haben Sie vielleicht eine Vorstellung davon, wie es gewesen ist, als ich auf ebenem, völlig freiem Untergrund einen Schritt nach vorn tat, nur um unvermittelt ins Leere zu treten! Mir war, als stürze ich in einen Abgrund; zugleich wich die Landschaft vor meinen Augen einem Wirbel bruchstückhafter Bilder und dann folgte – nichts mehr. Ich empfand ein Gefühl extremer Kälte, wie im hohen Norden, und eine unbeschreibliche Übelkeit. Schwindel überkam mich, denn mein Gleichgewichtssinn war offenbar zutiefst aus dem Lot geraten. Entweder weil es so schnell abwärts ging oder auch aus einem sonstigen Grund vermochte ich kaum Atem zu holen.
Ich befand mich in einem Zustand unsäglicher Verwirrung, meine Gedanken und Empfindungen
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