Die Stadt der Singenden Flamme - Die gesammelten Erzaehlungen - Band 1
vor einem Rätsel, und ich glaube nicht, dass ich der wirklichen Lösung damit auch nur nahe komme.
Ständig muss ich der Versuchung widerstehen, dorthin zurückzukehren, und sei es auch nur, um mich zu vergewissern, dass das Ganze wirklich geschehen ist. Aber warum eigentlich nicht? Schließlich wurde mir eine Chance gewährt wie wahrscheinlich noch keinem Menschen zuvor, und was ich an Wunderbarem erfahren, was mir an Unerforschtem offenbart werden könnte, ist unvorstellbar. Unter diesen Umständen ist meine nervöse Beklommenheit ein unentschuldbar kindisches Empfinden.
3. August – Heute Morgen lief ich, mit einem Revolver bewaffnet, wieder dorthin. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund trat ich, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass dies womöglich einen Unterschied bedeutete, nicht genau in die Mitte zwischen den beiden Findlingen. Zweifellos deshalb ging es nun länger und auch holpriger abwärts als beim ersten Mal – mir schien in einer Spirale, wobei ich mich ständig überschlug. Ich brauchte wohl mehrere Minuten, um mich von dem daraus resultierenden Schwindelgefühl zu erholen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem violetten Gras.
Diesmal huschte ich kühn den Hang hinab und stahl mich so gut ich konnte im Schutz der bizarren, purpurn-gelben Vegetation auf die sich düster abzeichnende Stadt zu. Alles war ruhig; nicht der leiseste Windhauch regte sich in jenen exotischen Bäumen, deren hoch aufragende Stämme und weit ausladendes Laubwerk wirkten, als wollten sie die strenge Linienführung der zyklopischen Bauten nachahmen.
Ich war noch nicht weit gegangen, da gelangte ich an eine Straße, die den Wald durchschnitt. Sie war mit gewaltigen Steinplatten gepflastert, von denen eine jede mindestens sechs Meter im Quadrat maß, und führte geradewegs auf die Stadt zu. Eine Zeit lang hatte ich den Eindruck, die Straße sei völlig verlassen, vielleicht nicht mehr in Gebrauch, und wagte es sogar, darauf entlangzumarschieren, bis ich hinter mir ein Geräusch vernahm. Als ich mich umwandte, gewahrte ich eine ganze Anzahl sonderbarer Wesen. Entsetzt sprang ich zurück und verbarg mich in einem Dickicht, von dem aus ich beobachtete, wie diese Kreaturen vorüberzogen. Voller Furcht fragte ich mich, ob sie mich wohl gesehen hatten. Doch anscheinend war meine Angst unbegründet, denn sie würdigten mein Versteck keines einzigen Blickes.
Jetzt, im Nachhinein, fällt es mir schwer, diese Geschöpfe zu beschreiben oder sie mir auch nur vor Augen zu rufen, denn sie waren gänzlich anders geartet als alles, was man für gewöhnlich als Mensch oder Tier erachtet. Jedes von ihnen war gut und gern drei Meter groß und sie schritten ungeheuer aus, sodass sie innerhalb weniger Augenblicke hinter einer Biegung außer Sicht gerieten. Sie hatten glänzend helle Körper, als trügen sie eine Rüstung, und über ihren Häuptern wippten gleich sonderbaren Federbüschen hohe, gebogene, in allen Farben schillernde Gliedmaßen, die ebenso gut Fühler oder ein sonstiges Sinnesorgan sein mochten. Vor Staunen und Aufregung am ganzen Leib bebend, setzte ich meinen Weg durch das vielfarbige Gestrüpp fort. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, dass es hier keine Schatten gab. Das Licht strömte aus allen Teilen des sonnenlosen Bernsteinhimmels zugleich und tränkte alles mit seinem sanften, gleichförmigen Glanz. Nichts rührte sich, alles war still wie zuvor; weder Vögel noch Insekten noch sonstige Tiere regten sich in dieser widernatürlichen Landschaft.
Doch als ich mich der Stadt auf eine Entfernung von etwa anderthalb Kilometern genähert hatte – sofern ich dies beurteilen konnte, schließlich waren mir in dieser Umgebung die Proportionen der Dinge fremd –, nahm ich etwas wahr, was ich zunächst eher als Vibration einordnete denn als Geräusch. Eine seltsame Erregung bemächtigte sich meiner, das beunruhigende Gefühl, eine unbekannte Kraft oder vielmehr Emanation durchströme meinen Körper. Dies hielt eine Zeit lang an, ehe ich die Musik vernahm, doch kaum hörte ich sie, identifizierte mein Gehör sie sofort als jene Vibration.
Sie war leise und kam von weit her, schien direkt aus dem Herzen der Titanenstadt zu dringen. Die Melodie war so süß, dass sie einem durch und durch ging; stellenweise erinnerte sie an eine sinnliche Frauenstimme. Allerdings vermochte keine menschliche Stimme sich jemals in solch überirdische Höhen emporzuschwingen noch die hohen Töne so lange zu halten. Es waren Töne, die den
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