Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
grässlichen Lage finden.
Ein Dutzend Türen gehen vom Gang ab, ich reiße eine nach der anderen auf. Jedes Mal bleibt mir das Herz stehen, jedes Mal fürchte ich, dass etwas Schreckliches dahinter gefangen ist. Im Geiste beschwöre ich die schrecklichsten Albträume herauf, bis ich beinahe überzeugt davon bin, dass sie sich schon durch meine Gedanken allein manifestieren: Leichen, die nur aus Mündern, Zähnen und Ansteckung bestehen.
Ich will einen Augenblick innehalten und durchatmen, will das Donnern meines Herzen lindern und die Bilder zur R uhe kommen lassen, die mir durch den Kopf rasen. Durch panische Aktionen kann man nur zu leicht sein Leben verlieren oder infiziert werden, das weiß ich, aber mein Körper signalisiert mir, dass die Zeit drängt.
Bald werden die R ekruter mich finden.Weit weg können sie nicht mehr sein.
Ich bin schweißgebadet und atme keuchend, als ich den letzten Türknauf umfasse. Die Tür klemmt, das Holz ist aufgequollen. Ich trete ein paar Mal dagegen, bis ich durch einen Spalt in den Raum dahinter schauen kann.
Ich halte den Atem an, hoffe auf eineTreppe, finde aber nur ein Gewirr von Knochen, die in fleckige Streifen Stoff gewickelt sind.Was früher Finger und Zähne waren, liegt über den Boden verstreut da. Ihr Grab ist meine Sackgasse. Ich wende mich schnell ab, ich muss mir überlegen, wo ich als Nächstes suchen soll.
Einen Herzschlag lang denke ich daran, durch diese letzte Tür zu kriechen und mich hinter einem Skelett zu verstecken. Ich wünsche mir einfach nur, dass die R ekruter mich nie finden . A ber selbst wenn sie es nicht tun, dieToten werden es schaffen, das weiß ich. Unweigerlich werden die Ungeweihten sich ihrenWeg hierher bahnen.
Ich renne einen anderen dunklen Gang entlang, der faltige, verrottendeTeppich zerreißt unter meinen Füßen. Hier gibt es einige winzige leere Räume, und imVorbeilaufen frage ich mich, ob der R est meines Lebens wohl so aussehen wird: dunkle Flure, leere Räume, Grauen.
Genau da stolpere ich in eine Nische und stoße auf eine große Metalltür. R ostbläschen brechen durch blätternde weiße Farbe. Mit meinem ganzen Gewicht werfe ich mich dagegen. Ich brülle sie an, als ob sie menschlich wäre, als ob sie Gnade walten und mich hineinlassen könnte.
Unter lautem Protest der rostigen Angeln springt die Tür auf. Ein Schwall kalter, feuchter Luft begrüßt mich. Hier ist die Dunkelheit intensiver, älter, und meine Laterne kämpft gegen die Schwärze. EineTreppe führt nach unten, ich will ihr gerade folgen, da höre ich ein lautes Krachen, gefolgt von einer Kaskade splitternder Geräusche.
Ich zögere, versuche den Ursprung des Lärms auszumachen, dann höre ich die R ufe von Männern. Stöhnen dringt zu mir durch, das nicht mehr von den hastig zusammengenagelten Brettern von Fenstern und Türen gedämpft wird. Eine tiefe Stimme dröhnt. »Lauft! Sie sind durchgebrochen.«
Mir schnürt sich die Kehle zu. Sie sind da. Die Ungeweihten und die R ekruter rücken näher. Ich muss die Flucht nach vorn antreten, das ist meine einzige Hoffnung. Ich stürze mich in die Dunkelheit und zerre die Tür hinter mir zu. Dann falle ich praktisch dieTreppen hinunter und stolpere in einen kleineren Raum . A ls ich um die Ecke biege, kommt mir eine Gestalt mit einer Laterne entgegen.
Ich schreie auf, falle über einen kaputten Tisch und fuchtele wild mit der Machete herum.
Die Gestalt fällt auch und verschwindet. Ich muss ein paar Mal blinzeln, bevor ich begreife, dass es ein Spiegel ist. Mit der Hand auf der Brust versuche ich den vom Grauen befeuerten Schmerz zu lindern . A ls ich wieder aufstehe, schaue ich mein Spiegelbild an: gebückt und klein, mit Haar, das kurz und struppig um die Krempe der Mütze absteht, die Catcher mir geschenkt hat.
Mein Blick ist wild und entschlossen, beinahe so wie der eines wilden Tieres. Und im Spiegel sehe ich eine andere Tür hinter mir, eine schöne aus Holz mit Schnitzerei. Ich wirbele herum und renne auf sie zu. Sie geht mühelos auf und führt zu einer weiterenTreppe. Mein Herz hämmert bei jedem Schritt, beim Abstieg wird die Luft immer dicker.
R ufe und das Geräusch von hämmerndenTritten auf den Stufen verfolgen mich. Ich renne schneller, stolpere, rutsche über die Stufen, bis ich unten aufkomme und gegen eine andere Tür pralle. Ich atme schwer, mir ist egal, dass mein Keuchen laut widerhallt und mich verrät.
Ich sitze in der Falle.
Mein Herz schreit, als ich den Türknauf mit
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