Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
verschlingen, ich könnte mich nicht mal wandeln.
Das Stöhnen hinter mir wächst wie eine Flutwelle an, wie eineWasserwand, die mich vorandrückt. Ich muss mich einfach nur schieben lassen und dabei nicht in die Tiefe gezerrt werden. Die Kälte macht meine Ohren taub, strahlt über den Hals aus bis unter die Kleider.
Mein Fuß verfängt sich in etwas, ich falle und lasse die Laterne los. Ich starre sie an, sie rollt weiter und bleibt liegen, und ich verfluche meine Dummheit, nicht vorsichtiger gewesen zu sein. »Was soll das«, murre ich und beobachte, wie die Flamme langsam erstickt.
Mit einem Aufflackern erlischt sie und taucht mich in ein absolutes Nichts, in dem es nicht mal Luft zu geben scheint. Die Dunkelheit verstärkt jeden Laut.
Kniend schlage ich auf den Feuerstein, meine Finger zittern in der Hast. Jeder gescheiterteVersuch bringt die R ekruter näher heran, jeder ersterbende Funke verschafft ihnen einenVorteil. Sie können nicht mehr sehr weit sein, jetzt nicht mehr. Der Boden vibriert, dieTritte derVerfolger trommeln wie Sommerregen.
Als die Laterne endlich wieder brennt, bemerke ich, dass derTunnel vor mir teilweise eingestürzt ist, Steine und verbogene Stahlstreben liegen überall verstreut. Ich stöhne frustriert auf, dann reiße ich mich zusammen . A ufgebracht gehe ich auf dieTrümmer los, ziehe an den kleineren Steinen, zerre kaputte Eisenstangen frei und grabe so mit aller Kraft. Doch ich weiß, ich verliere Zeit.
Eine Salve von Schritten ertönt hinter mir, durch das Echo geht jedes Gefühl für Entfernungen verloren. Stöhnen vermischt sich mit den Stimmen der R ekruter, die nach mir rufen, alles versinkt in immer lauter werdendem Donnergetöse.
Schließlich habe ich mir einen schmalen Pfad gegraben, ich schiebe die Laterne voran und krieche hinterher . A n einigen Stellen ist es ziemlich eng, und ich muss mich winden. Bei jedem Kratzer versichere ich mir, dass dies wenigstens dieToten zurückhalten wird.
Gerade als ich mich auf die andere Seite durchgeschoben habe, nehme ich eine Bewegung hinter mir wahr. Ich trete gegen denTunnel, den ich gegraben habe, rüttele an denTrümmern, bis er einstürzt und meinenVerfolgern denWeg abschneidet.
»Annah«, ruft ein Mann. Es ist Ox. Er bleibt auf der anderen Seite des Netzes aus kaputten Streben stehen, die zwar so eng ineinander verwoben sind, dass er nicht hinter mir her kommen kann, aber doch so weit auseinanderklaffen, dass wir uns fast Auge in Auge gegenüberstehen.
»Lass mich in R uhe«, knurre ich, nehme einen Stein und schleudere ihn in seine Richtung. Er weicht aus, doch der R ekruter hinter ihm wird an derWange getroffen. Blut tropft von seinen zerquetschten Fingern.
Ich huste und verschlucke mich an der eisigen Luft. Ob wohl einige von ihnen angesteckt wurden, als sie in dem Meer derToten gelandet sind, zu dem die Dunkle Stadt geworden ist? Ich weiche einen Schritt zurück, dann noch einen, um Distanz zwischen uns zu bringen.
Ox packt eine der Streben mit seiner riesigen Hand, seine Handknöchel sind blau geschlagen und wund. »Du verstehst das nicht, Annah. Wir brauchen dich! Der Innere Bereich wird ohne dich und Catcher untergehen. Sie werden alle sterben!« Er rüttelt am Metall und räumtTrümmer beiseite, ich trete wieder gegen den Haufen, die Steine rutschen, und der Durchgang, den er schaffen wollte, wird wieder enger.
Hinter den R ekrutern bewegen sich Gestalten von tieferem Grau in der Finsternis. DieToten. Mein Herz erstarrt und fängt dann an zu rasen. Ich mache einen weiteren Schritt zurück, das Licht, das auf die R ekruter fällt, wird schwächer.
»Daran hättest du vorher denken sollen«, brülle ich ihn an. Die beiden anderen Männer beginnen,Trümmer wegzuräumen. Da sie so viel stärker sind als ich, wird es nicht lange dauern, bis sie sich einenWeg gegraben haben.
Nicht, dass ihnen noch viel Zeit bliebe, bis die Ungeweihten über sie herfallen.
Ich renne los. »Ich kenne dieseTunnel«, rufe ich ihnen zu, folge dem Lauf der Schienen um die Kurve, wo sie auf einen anderen Schienenstrang treffen. Ich stolpere, kann mich aber noch abfangen. »Ihr findet mich nicht!« Das ist gelogen, aber das muss er ja nicht wissen.
Meine Muskeln haben sich schon abgekühlt und schmerzen, als ich schneller laufe. Keuchend ringe ich nach Luft. Der Schmerz ist mir egal. Damit kann ich leben, wenn ich nur Abstand gewinnen kann. Ich muss sie abschütteln.
Das Klügste wäre gewiss, die Laterne fallen zu lassen, es ist ja
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