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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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anderes Gitter stoße. Ich weiche seitlich aus, stolpere über etwas, das in der Dunkelheit klappert. Metall auf Metall.
    »Ist mit dir alles in Ordnung?«, fragt er. »Haben sie dir wehgetan?«Wut ist in seiner Stimme, er bewegt sich wieder auf mich zu.
    Ich denke an den dicken Mann, der mich getreten, mich geschlagen hat, der sich auf mich gekniet hat. Ja, will ich sagen. Ja, sie haben mir furchtbare Angst eingejagt. Sie haben mir das Gefühl gegeben, klein und schwach zu sein, und das bin ich nicht gewohnt. Solche Gefühle verabscheue ich.
    »Nein, fühlt sich wirklich gut an, getreten zu werden.« Ich tränke die Bemerkung mit so viel Sarkasmus wie möglich. Langsam lasse ich meine Hand in dieTasche gleiten. Hoffentlich hört er mich nicht. Ich hole das Messer heraus. Den vertrauten Schaft in der Hand zu spüren, stärkt meinen Mut, und das Atmen fällt mir leichter. Endlich habe diese Situation etwas besser im Griff.
    Ich spüre, wie er ausatmet. Er steht viel zu nah. Ich hebe das Messer.
    »Zurück«, sage ich.
    »Schon gut, Annah«, antwortet er.
    Ich keuche auf. Er kennt meinen Namen.Woher kennt dieser Fremde meinen Namen? Und plötzlich wird mir klar, dass meine Instinkte mich nicht getrogen haben. Ich könnte hier unten tatsächlich in noch größerer Gefahr sein als über der Erde. Hier sitze ich in der Falle.
    Ich halte das Messer weiter ausgestreckt vor mir, während ich mit der anderen Hand am Gitter entlangstreiche, bis ich eine Lücke finde, durch die ich schlüpfen kann. Ich schlucke und versuche, mein wild klopfendes Herz zu beruhigen.
    »Ich tue dir nichts, Annah«, sagt er. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«
    Ich lache ihn aus. »Warum sollte ich dir glauben?«, entgegne ich und taste mit ausgestreckten Armen herum, bis ich die kühlen Fliesen derWand wiederfinde, an der ich entlanggleite. So leise wie möglich schiebe ich die Füße über den Boden. Doch der ist plötzlich weg. Ich gerate insWanken, finde das Gleichgewicht aber wieder. Mein Herzschlag dröhnt mir in den Ohren, ich kann nicht hören, ob der Fremde mir folgt.
    Vorsichtig taste ich mit den Zehen in der Luft herum, bis ich eine Stufe finde und dann noch eine. Mit jedem Schritt in die Tiefe wird die Luft stickiger.
    »Annah, ich weiß, wer du bist«, sagt er. Seine Stimme ist wieder ganz nah.
    Schweigend taste ich mich weiter die Stufen hinunter und schaffe Abstand zwischen uns, damit ich denken kann.
    Frustriert seufzt er. »Ich weiß, wer du bist, weil Elias mir von dir erzählt hat.«
    Ich erstarre, alle Wörter sind in meiner Brust gefangen. Es ist seltsam, einen Fremden seinen Namen sagen zu hören. Ein kleines schmerzhaftes Zittern flackert in meiner Brust. Ich beiße die Zähne zusammen und schlucke das Gefühl hinunter.
    Es ist so still, dass ich hören kann, wie er sich im Dunkeln bewegt. »Er hat mir gesagt, dass ich hierherkommen und dich suchen soll.«
    »Woher kennst du Elias?« Meine Stimme zittert, deshalb klinge ich schwach. Ich beiße mir auf die Unterlippe, denn ich muss meinen Körper und meine Gedanken unter Kontrolle bekommen.
    »Du kannst mir vertrauen.« Er macht noch einen Schritt nach vorn . A ber er hat wohl nicht gemerkt, dass er vor derTreppe gestanden hat und dass es plötzlich steil nach unten geht, denn ich höre sein erstauntes Keuchen – und dann fällt er. Ich höre, wie er Halt suchend um sich schlägt.
    Und dann fällt er auf mich. Unsere Körper schlingen sich umeinander, als wir die letzten Stufen hinunterrollen. Die Landung auf dem rissigen Betonboden ist hart, mein Kopf prallt gegen dieWand, hinter meinen Augen explodieren Lichter. Das Messer, das ich noch immer umklammert halte, schneidet in Catchers Haut. Ich spüre die Nässe des Blutes an meinen Fingern.
    »Oh mein Gott«, stammele ich. Catcher grunzt und wälzt sich von mir herunter, doch unsere Beine sind noch immer miteinander verschlungen.
    Ich lasse das Messer fallen, das schmierige Blut bedeckt meine Haut. »Oh mein Gott«, sage ich noch einmal. »Bist du okay?« Da ist so viel Blut, ich habe Angst, dass ich ihn vielleicht getötet habe, und mein Magen krampft sich zusammen.
    Ich strecke den Arm nach ihm aus, packe ihn, streiche mit den Händen über seinen Körper und suche dieWunde. »Das wollte ich nicht. Bist du okay? Catcher, was ist passiert?«
    Er sagt nichts . A ls mir aufgeht, dass ich jemanden ermordet haben könnte, wird mir schwindelig. Soll ich ihn liegen lassen und oben Hilfe holen – oder lieber hierbleiben?

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