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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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um das Hauptquartier liegen. Unbemerkt schlüpfen wir in das erste verlassene Hochhaus und wandern durchs Erdgeschoss, bis wir eineTreppe finden, die in den dunklen Keller führt.
    Wir starren einander an, bis ich mich schließlich bereit erkläre, als Erste hinunterzugehen. Mit den Fingern an der kalten Mauer taste ich mich Stufe für Stufe abwärts, die Dunkelheit verschluckt immer mehr von meiner Umgebung, am Ende muss ich die Augen zusammenkneifen, um überhaupt noch den kleinsten Lichtschimmer auszumachen.
    »Vielleicht sollte ich eine Laterne holen. Da ist bestimmt noch eine oben in einer derWohnungen«, sagt meine Schwester und stapft zurück ins Erdgeschoss.
    Ich setze mich auf dieTreppe, drücke den Kopf auf die Knie und genieße die kühle R uhe.
    Es ist schwer zu sagen, wie viel Zeit vergeht. Ich zähle meine Atemzüge, langsam, sicher, bewege die Zehen imTakt meines Herzschlags und zwinge mich zu entspannen.
    Dann regt sich etwas unter mir, dort, wo das Licht nicht hinfällt. Ein leises Rauschen, und dann klingt es, als würde etwas über den Boden schleifen. Ich springe auf, stoße mich amTreppengeländer und verliere das Gleichgewicht.
    Mit den Armen rudere ich in der Luft herum, um irgendwo Halt zu finden, und kurz bevor ich falle, kann ich das Geländer packen, an dem meine Hand hinuntergleitet, während mir die Füße wegrutschen.
    Beim Fallen schlage ich auf die metallverstärkte Kante der Betonstufen, der Schmerz zuckt durch Hüfte und Schienbein. Ich schnappe nach Luft, versuche in der Dunkelheit wieder auf die Beine zu kommen, da streift etwas meinen Knöchel.
    Schreiend trete ich um mich, hoffe, dass es irgendein Tier ist, weiß aber, dass ich kein Risiko eingehen darf. Mit einer Hand am Geländer ziehe ich mich dieTreppe hoch, mit der anderen hole ich das Messer aus derTasche und schreie währenddessen: »Abigail!« Hoffentlich ist sie nicht weit weg und hört mich.
    Etwas zieht mich zurück in die Dunkelheit, zerrt an meinen Hosen, und wieder trete ich um mich, fuchtele mit dem Messer in der Luft herum, obwohl ich gar nicht weiß, wohin ich zielen soll.
    Da taucht ein helles Licht oben an derTreppe auf. Meine Schwester rennt auf mich zu. Sie nimmt zwei Stufen auf einmal, der Schein ihrer Laterne dringt weiter ins Dunkel hinein, und ich sehe, wogegen ich kämpfe: derTorso eines Ungeweihten, von der Hüfte abwärts ist nichts mehr da. Eine langeWunde zieht sich über seinen Hals, anscheinend hat jemand versucht, ihn zu enthaupten, jedoch die Wirbelsäule nicht durchtrennen können.
    Lange, dürre Finger winden sich um meinen Fuß, wollen mich hinabziehen, sich an mir emporhangeln. Er zerrt mit so festem Griff, dass es beinahe unmöglich ist, ihn abzuschütteln.
    Ich stemme mich gegen dieTreppenstufen und trete ihm immer wieder ins Gesicht, spüre, wie seine Nase bricht, sehe, wie sein Augapfel tief in den Schädel gedrückt wird und das Auge zerplatzt wie eine überreifeWeintraube.
    Trotzdem kämpft er weiter, der Mund schnappt auf und zu, scharfe, abgebrochene Zähne schimmern.
    Meine Schwester ist jetzt an meiner Seite, sie schwenkt die Laterne hoch, ehe sie damit hart auf den Arm des Ungeweihten einschlägt. Glas splittert klirrend, brennendes Öl spritzt über seinen Körper, auf meine Hosen. Schnell schlage ich die kleinen Flammen aus, bevor sie sich durch den Stoff fressen und mich verbrennen können.
    Der Ungeweihte hat weniger Glück. Die Flammen verzehren sein Haar, fressen sich durch seine zerlumpten Kleider und sein Fleisch. Ich würge wegen des stinkenden schwarzen Rauchs, der die Treppe hochquillt, packe die Hand meiner Schwester und hieve sie zurück ins Tageslicht.
    Zum Glück ist das ganzeTreppenhaus aus Beton, und nur der Körper der Pestratte brennt, zuckend versucht der Ungeweihte die ihn verzehrenden Flammen abzuwehren. Oben im Erdgeschoss stoße ich meine Schwester auf ein kaputtes Fenster zu, wir brauchen beide frische Luft.
    Keuchend sitzen wir da. Ich ziehe meine Hosen hoch und untersuche die blauen Flecken, die bereits auf meinen Schienbeinen aufgeblüht sind. Meine Hände zittern, und mein Haar riecht so nach verbranntem Fleisch, dass es mir dieTränen in die Augen treibt.
    Wie lange war der Mann wohl schon da unten? Wie lange mag er in Starre dort gelegen haben, bis er das Fleisch lebendiger Menschen gewittert hat? Vielleicht war er mal einer von denen, die die Räder angetrieben haben, um Energie für Licht oder Fahrstühle zu erzeugen, aber wie auch immer, wenn er

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