Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
wie wir hier herauskommen, ich weiß nur, dass wir hier heraus müssen. Wir sind hier nicht so sicher, wie wir glauben.«
Endlich ergreift meine Schwester dasWort. »Sie hat recht«, sagt sie leise. Ich schaue sie an, sehe ihr stur vorgerecktes Kinn, das meinem so ähnlich ist. Jetzt könnte ich sie umarmen, aber stattdessen werfe ich ihr ein kleines Lächeln zu, das sie erwidert.
Elias schnaubt und wendet sich von uns ab. »Ich werde mit Ox reden, wegen des Mannes, der dich geschlagen hat, und wegen desTodeskäfigs.Wenn er will, dass Catcher den Inneren Bereich weiterhin unterstützt, hat er für unsere Sicherheit zu sorgen – und zwar für die von uns allen. Bis dahin will ich nicht, dass sich eine von euch allein – und am besten auch nicht ohne mich – dem Hauptquartier auch nur nähert. Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, dumme Risiken einzugehen.«
Mir sind diese Befehle total zuwider, schließlich habe ich in den letzten drei Jahren auch für mich selbst gesorgt. Ich will gerade protestieren, da schüttelt meine Schwester den Kopf. »Wir sehen uns vor«, versichert sie Elias und legt ihre Hand auf seine. Bei ihrer Berührung entspannt er sich sofort, wird milder.
»Dir darf nichts zustoßen. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde«, sagt er zu meiner Schwester. In seinenWorten liegt so viel Bedürftigkeit und Bewunderung, dass ich die Arme vor der Brust verschränken muss, um mich vor der nacktenVerletzlichkeit zu schützen.
Und dann wendet er sich zu mir um. »Das gilt für euch beide.« Und ich beiße mir in die Backe, es ist mir unangenehm, so ohne Weiteres, ganz einfach geliebt zu werden.
22
S obald Elias sich auf die Suche nach Ox gemacht hat, dreht meine Schwester sich zu mir um und sagt: »Und wo fangen wir an, nach einem Fluchtweg zu suchen?«
Beinahe hätte ich mich an meinemTee verschluckt, so überrascht bin ich. Sie hatte zwar auch gesagt, wir sollten hier weg, allerdings hatte ich nicht erwartet, dass sie sich Elias ohne weiteres Drängen widersetzen würde.
Sie grinst so frech, dass ich einfach zurücklächeln muss. »Keine Ahnung«, gestehe ich. »Sieht ja so aus, als würde man nur mit dieser Seilbahn von der Insel kommen können, aber die wird bewacht und fährt zu einem Bahnsteig, auf dem es vor Ungeweihten wimmelt.«
Nachdenklich runzelt sie die Stirn. »Kein Boot, fliegen können wir auch nicht, also …« Sie wickelt das übrig gebliebene Brot in einTuch, fegt die Brotkrümel vom Tisch in ihre Hand und wirft sie sich in den Mund.
»SindTunnel der einzige Ausweg«, beende ich den Satz.
Sie sieht mich mit großen Augen an und hält sich hustend die Hand vor den Mund. »EinenTunnel graben? Unter dem Fluss?«
Ich lache. »Unter der Dunklen Stadt und den Neverlands gibt es schonTunnel – sie gehören zum alten U-Bahn-System. Möglicherweise haben sie vor der R ückkehr diese Insel mit der Stadt verbunden. Das einzige Problem wird sein, den Eingang zu finden. Der könnte überall sein, wahrscheinlich aber in einem der Gebäude.«
Sie lehnt sich an den Tisch und trommelt mit den Fingern auf ihre Lippen. »Du meinst also, wir müssen die Insel nach etwas absuchen, das es vielleicht gar nicht gibt?«
Ich nicke.Wenn man es so ausdrückt, scheint es aussichtslos zu sein.
Sie seufzt. »Ich hole meinen Mantel.«
Wie versprochen machen wir einen Bogen um das Hauptquartier, was nicht schwer ist, weil es in der Mitte der Insel liegt. Wie bei einem harmlosen Spaziergang gehen wir Seite an Seite. Sie erzählt mir Geschichten aus der Zeit, als sie mit einer Mutter in Vista herangewachsen ist, ich erzähle ihr Anekdoten über Elias. Für ein paar kurze Augenblicke scheint das Leben beinahe normal zu sein.
Ich spüre aber, wie die Blicke der auf den Mauern postierten R ekruter uns folgen. Sie brüllen den Booten auf dem FlussWarnungen zu, die Flüchtlinge aus der Dunklen Stadt flehen um Hilfe . A ngespülte Ungeweihte stöhnen und kratzen an der dicken Barriere. Einer der R ekruter ritzt sich den Finger mit einer Speerspitze und reizt eine Pestratte damit, ehe er sie von ihrem Elend befreit.
Ich balle die Fäuste in denTaschen und wünschte, ich würde das beruhigende Gewicht einer Machete an der Hüfte spüren. Stattdessen muss ich mich mit dem kleinen Klappmesser begnügen, das Elias in unsererWohnung gefunden hat. Besser als gar nichts.
Die meisten Gebäude auf dieser Seite der Insel stehen leer, die R ekruter sind in die Kasernen verbannt, die dicht gedrängt rings
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