Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
drückt. Ich beobachte, wie das Licht auf ihr glattes Gesicht fällt.
Ob sie je Ablehnung erfahren hat? Ich frage mich, was man wohl mitbringen muss, um an dieVersprechen eines anderen glauben zu können.
Ich räuspere mich und betrete den großenWohnraum, in dem die beiden stehen. Sie fahren auseinander, meine Schwester errötet, Elias stammelt Guten Morgen.
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht«, sagt Elias, und dann keucht meine Schwester mit schriller Stimme: »Deine Backe!Was ist passiert?«
Ich werfe den Kopf herum, lasse das Haar in mein Gesicht fallen. »Das ist nichts«, murmele ich und gehe zum Tisch. Ein Laib Brot liegt dort aufgeschnitten. Ich stopfe mir ein Stück in den Mund, dankbar dafür, nicht reden zu müssen.
Elias kommt zu mir und dreht mich zu sich herum. Er hebt mein Kinn hoch, und das Licht vom Fenster fällt auf den Bluterguss. »Wer hat dich geschlagen?« Er presst die Worte zwischen den zusammengebissenen Zähnen her vor.
Ich bin erstaunt, dass er das nicht weiß. »So ein R ekruter.« Das liegt ja wohl auf der Hand, aber ich merke, dass er es nicht glauben will. Ich werde wütend, weil er nicht vorausgesehen hat, dass so etwas passieren würde. Zwei Frauen auf einer Insel voll brutaler R ekruter, das muss doch Ärger geben.
Er dreht sich um und hält die Stuhllehne so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß werden. In der Ecke des Raumes steht ein Holzofen, ein Scheit darin verrutscht mit einem dumpfen Geräusch, und Funken stieben durch das schmale Gitter.
»Ox hat mir Sicherheit für euch beide versprochen«, sagt Elias. »Kennst du den Namen des R ekruters? Ich muss ihm das melden.«
Ich lache, winzige Brotkrümel bleiben mir im Hals stecken. »Ox war dabei«, keuche ich hustend. »Er hätte den Mann aufhalten können, aber er hat es geschehen lassen.« Der grausameTeil meiner Persönlichkeit genießt, dass alle Farbe aus Elias’ Gesicht weicht, als er begreift, was aus seinemVerrat an Catcher geworden ist.
»Ich rede mit ihm«, sagt er.
Ich zucke mit den Schultern. »Frag ihn auch gleich nach demTodeskäfig, wenn du schon mal dabei bist.«
Meine Schwester gießt gerade heißesWasser in einen Becher, erstarrt aber bei meinenWorten. »EinTodeskäfig?«
Ich nicke ernst. »Wir sind hier nicht sicher. Sie töten Leute zum Spaß. Das habe ich letzte Nacht gesehen.«
»Hier sind wir sicherer als in der Dunklen Stadt«, erwidert Elias. Er fängt an, auf und ab zu laufen. Meine Schwester schiebt mir mit zitternden Händen den Becher zu.
Ich stelle mich Elias in denWeg. »Hast du davon gewusst?« Er schottet sich ab, seine Miene wird ausdruckslos.
»Du hast es gewusst«, flüstere ich, als mich die Erkenntnis übermannt. Ich presse die Finger auf die Schläfen, das will ich nicht glauben. Er soll es leugnen . A ber er bleibt stumm.
»All die Soulers, die sie gefangen genommen haben … das machen sie mit ihnen. Es ist falsch. Es ist grausam.«
Ich schaue zu meiner Schwester, aber die starrt nur stumm auf den Boden. »Findest du das in Ordnung?«
»Nein«, knurrt Elias. Meine Schwester zuckt zusammen, als sie seine Stimme hört. »Ich schäme mich . A ber du musst verstehen, dass einige von denen gute Männer sind. Mit vielen habe ich gekämpft, sie sind nicht alle so krank im Kopf.«
»Sie werfen Menschen in Käfige – und dann jubeln sie, wenn sie zu müde zumWeglaufen sind! In Sprechchören fordern sie denTod!«, schreie ich ihn an. Dann versuche ich mich zu beruhigen. »Wir können hier nicht bleiben«, sage ich gefasster.
»Und wo sollen wir hin?«, brüllt Elias entnervt zurück. Er greift sich in den Nacken. »Du hast die Karten doch gesehen. Es gibt keinen anderen Ort.«
»Und was ist mit der Stadt am Meer, in der Abigail aufgewachsen ist?«, frage ich.
Elias wirkt einen Augenblick lang verstört, dann korrigiert meine Schwester mich. »Gabry«, sagt sie. »Mein Name ist Gabry.«
Mein Kopf wird warm, ich stammele verlegen: »Tut mir leid.« Sie zuckt mit den Schultern und schaut aus dem Fenster.
»Wie sollen wir denn da hinkommen?«, fragt Elias. »Hast du vielleicht ein Flugzeug oder so was? Falls du es noch nicht bemerkt hast: Wir sind auf einer Insel, und die ist von Wällen umgeben, auf denen bewaffnete Männer stehen. Dahinter istWasser, in dem es vonToten nur so wimmelt. Uns stehen nicht besonders viele Möglichkeiten offen.«
In seiner Stimme brodelt dieselbe Frustration, die auch ich empfinde. »Hör zu, ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung,
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