Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
kämpfen, für Catcher war ich nie wirklich dazu bereit.«
Und bei diesenWorten geht mir etwas auf: Ich war nicht bereit, für Elias zu kämpfen. Das war ich nie gewesen. Ich hatte ihn zu den R ekrutern gehen lassen und mit keinemWort versucht, ihn zurückzuhalten.
Meine Schwester beobachtet mich, während ich nachdenke, starr, mit angespanntem Gesicht. Sie hat tatsächlich Angst vor mir, begreife ich . A ngst, Elias an mich zu verlieren . A ngst, er und ich hätten etwas gemeinsam, das sie niemals haben könnte.
Natürlich hat sie recht. Er und ich teilen eineVergangenheit voller Mühen undVerluste … wir teilen die Schuld, sie allein imWald zurückgelassen zu haben – dieselben Erinnerungen und den Schmerz.
Und wir teilen die Liebe zu meiner Schwester. Würde Elias auf sie verzichten und zu mir kommen, wenn ich darum bitten würde? Könnte ich das von ihm verlangen? Oder von ihr?
Ich denke an Elias und an diese eine Nacht, in der er mir das Gefühl gegeben hat, schön zu sein. Hätte ich damals etwas sagen können, das ihn zum Bleiben bewogen hätte?
All die Jahre hab ich mich gefragt, ob ich etwas falsch gemacht hatte.Wohl Millionen Mal habe ich diese Nacht im Kopf durchgespielt und mir sehnlichst ein anderes Ende herbeigewünscht.
Niemals war mir der Gedanke gekommen, dass die Zeit uns so unwiderruflich verändern könnte. Ich bin während seiner Abwesenheit nicht nur ein anderer Mensch geworden, sondern weiß auch nicht mehr, wer er eigentlich ist.
Und wenn ich damals, als ich dachte, er würde mir alles bedeuten, nicht bereit war, um ihn zu kämpfen, warum sollte ich es jetzt tun, wo er ein Fremder geworden ist?Wo er meine Schwester liebt und sie ihn?
»Ich interessiere mich nicht mehr auf diese Art für Elias«, sage ich. »Er liebt dich, und selbst wenn ich da mitreden könnte, glaube ich nicht, dass er mir je so viel bedeuten könnte wie dir.«
Ihr ganzer Körper entspannt sich,Tränen schimmern in ihren Augen. Ihre Unterlippe zittert leicht. »Danke«, flüstert sie.
Es ausgesprochen zu haben erleichtert mich, als wäre ich eine dunkle graue Last losgeworden.
»Und was ist mit Catcher?« Sie setzt sich neben mich. Das Bett ächzt unter unserem Gewicht.
»Was soll mit ihm sein?«
»Wirst du um ihn kämpfen?« Sie legt den Kopf schräg, als wolle sie ein Geheimnis mit mir teilen, ihre Augen funkeln schelmisch.
Ich denke daran, wie Catchers Gesicht ausgesehen hat, als er mir gesagt hat, ich sei schön. Das Grauen, dasVerlangen, die Bedürftigkeit. Der Schmerz. Und dann fallen mir seineWorte bei unserer ersten Begegnung ein. »Er hat mir gesagt, er sei kaputt. Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt will … oder irgendjemand anders.«
Meine Schwester lässt ihre Hand in meine gleiten. »Die Kaputten brauchen jemanden, der umso härter um sie kämpft«, sagt sie und streicht über die Narben auf meinem Handrücken.
25
I ch weiß nicht.« Ich erinnere mich daran, wie es sich angefühlt hat, als er mich zurückgestoßen hat . A uf keinen Fall will ich riskieren, noch einmal so verletzt zu werden.
Meine Schwester zuckt mit den Schultern, sie steht vom Bett auf. »Du warst es doch, die zu mir gesagt hat, wir dürften kein Leben in Angst führen.« Sie geht aus dem Zimmer. Im Flur bleibt sie stehen. »Übrigens«, meint sie, »Catcher hat gesagt, er macht sich heute Abend wieder in die Stadt auf. Könnte eineWeile dauern, bis er zurückkommt.Wahrscheinlich ist er mittlerweile schon unten an der Seilbahnstation.«
Ein paar Sekunden brauche ich, bis ich mich rühren kann, aber dann springe ich aus dem Bett, laufe zum Fenster und schaue auf den Fluss. Kleine Lagerfeuer brennen auf demWall, um sie drängen sich die R ekruter, die das Ufer bewachen.
Ich sehe Catcher auf die Seilbahn zugehen, mein Herz macht einen Sprung.Wenn ich doch die Sicherheit hätte, dass er mich nicht wieder zurückweist. Nicht noch einmal . A ber ich muss es riskieren. Bevor er weggeht, muss ich ihm sagen, wie leid es mir tut, dass ich so wütend geworden bin auf dem Dach.
Ich muss um ihn kämpfen.
Schnell ziehe ich meinen feuchten Mantel über und laufe dieTreppen hinunter und hinaus in die Nacht. Ich renne auf den Bahnsteig zu, als Catcher gerade in die Seilbahn steigt, die ihn von hier wegbringen wird.
»Catcher«, schreie ich, mir ist egal, dass ich Aufmerksamkeit errege. Mir ist alles egal, ich will ihn nur sehen. Und berühren . A ber er ist schon eingestiegen und zieht die Tür hinter sich zu. Ich bücke mich nach
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