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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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getroffen. Ich schließe mich ihnen an, und dann geht schon alles gut, versprochen.«
    Sie schüttelt den Kopf und rührt sich nicht von der Stelle. »Das glaube ich nicht«, erwidert sie.
    »Du hast recht, gut wird es nicht gehen, aber ich werde überleben. Das kann ich.«
    Sie taucht unter meinen Armen hindurch, dreht sich um und sieht mir in die Augen. »Ich will dich nicht wieder verlieren«, antwortet sie mit brechender Stimme.
    Ich ziehe sie fester an mich. Stöhnen weht durch die Luft, immer mehrTote werden ans vereiste Ufer gespült.
    Ich atme tief durch. »Manchmal muss man gehen. Manchmal ist es das Schlauste, was man machen kann.« Ich drücke meine nackten Finger an ihreWange, und sie erwidert diese Geste.
    »Vielleicht ist das so«, sagt sie. »Aber das überzeugt mich nicht davon, dich mitten im Schneesturm allein zu lassen, wenn ringsherum Mudo angespült werden.«
    Ich funkele sie wütend an. »Du bist so stur. Hat dir das schon mal jemand gesagt?«
    Sie lächelt von einem Ohr zum anderen. »Das fasse ich als Kompliment auf.«
    Seite an Seite sehen wir zu, wie die Dunkelheit den trägen schwarzen Fluss einhüllt, um uns herum tobt dasWeiß. Ungeweihte schleppen sich aus dem halb gefrorenenWasser, das Eis zerkratzt ihnen die tote Haut.Wenn sie nicht zu tief imWasser sind, stoße ich ihnen die Schaufel in die Hälse, drücke sie zu Boden und stöhne vor Anstrengung, wenn ich Haut und Knochen durchtrenne. Die Köpfe rollen ein wenig hin und her, und es ist nicht leicht, ihnen nicht in die Augen zu sehen.
    Ob ich ihnen wohl irgendwie Frieden gebe?
    Meine Schwester starrt auf einen der leeren Körper hinab. »Was würdest du machen, wenn du wüsstest, du hättest nur noch ein paarTage zu leben?«, fragt sie. DasWasser schwappt um tote Arme und Beine.
    Ein Windstoß fährt durch meinen Mantel, und ich stemme mich gegen die Böe. Mir fällt die Frau auf dem Dach ein, die dieselbe Frage gestellt hat.Welche Angst ich doch hatte, genauso zu sterben wie sie: allein, ohne jemanden, der mich betrauert. Wie schnell sich das geändert hat. »Ich werde es schon irgendwie schaffen zu überleben«, sage ich mit klappernden Zähnen.
    Sie legt den Kopf schräg. »Ist das alles, was du willst? Überleben?«
    Ich zucke mit den Schultern, springe ein bisschen auf der Stelle, damit das Blut durch meinen Körper zirkulieren kann. »Scheint mir gerade eine gute Idee zu sein«, entgegne ich und weise mit dem Kinn auf unsere Umgebung.
    Sie schweigt und tänzelt von einem Fuß auf den anderen, um sich warm zu halten.
    »Was ist mit dir?Was würdest du tun?« Ich stecke die Hände in die Ärmel.
    Mit hochgezogener Augenbraue sagt sie: »Nichts da. Ich erzähle dir meineTräume erst, wenn du mir deine verrätst.« Sie lächelt schief. »Dann hast du einen Grund, dafür zu sorgen, dass wir beide lebend hier rauskommen.«
    Ich lache und lehne mich an sie. »Wir werden überleben«, sage ich. »Das verspreche ich dir.«
    Der Sturm nimmt zu, es wird schwer, sich auf den Beinen zu halten, das Stöhnen der Ungeweihten zu hören oder zu erkennen, ob welche angespült worden sind. Meine Schwester und ich kauern weiterhin eng umschlungen in der Mauernische und versuchen uns vor dem Wind zu schützen.
    Ich atme keuchend, bei jedem Atemzug brennt es eisig in der Lunge. »Wir müssen zurück«, brülle ich meiner Schwester zu. »Die können uns nicht einfach hier draußen lassen.«
    Sie nickt, ihr Gesicht ist tief im dicken Mantel vergraben. Dann kämpfen wir uns an der Mauer entlang, gegen die der Sturm uns drückt. Die Schaufel halte ich vor mir hoch, falls in diesemWetter noch immer irgendwelcheToten unterwegs sein sollten, aber meine Muskeln zittern vor Erschöpfung und Kälte. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten . A lles ist so kalt. So kalt und so schwer.
    Ich fühle mich so leer und kann mich nicht mal mehr erinnern, wann ich das letzte Mal gegessen habe . A ls ich das letzte Mal geschlafen habe, hatte ich einen Alptraum nach dem anderen. Immer wieder habe ich gefühlt, wie mir die Haare ausgerissen werden.
    Eine Gestalt stolpert vomWasser her auf mich zu. Ich brauche eineWeile, bis ich mich daran erinnere, wo ich bin, was ich tun soll. Ich hole aus, nachlässig und ungelenk, die Bewegung bringt mich aus dem Gleichgewicht. Ich mache zwei Schritte. Drei. Falle aufs Knie und stütze mich auf die Schaufel, um wieder aufzustehen.
    Die Gestalt bewegt sich langsam und ruckartig auf mich zu. Das Stöhnen ist kaum zu hören. Haare

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