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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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fair.
    Ich lege ihm die Hand in den Nacken, und er zuckt zusammen, als ob Berührungen für ihn ungewohnt sind. »Danke, dass du zurückgekommen bist. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre.«
    Ein Muskel an seinem Kiefer zuckt, er knirscht mit den Zähnen. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich hätte dich nicht einfach so verlassen sollen.« Er macht eine Pause, bevor er leise sagt: »Es tut mir leid.«
    MeineWangen laufen rot an, als ich mich an unsere Konfrontation erinnere und daran, wie ich seine Hand genommen und an die Brust gedrückt habe. Wie er mich weggeschubst hat, als ich ihn küssen wollte. Ich gehe zum Bett, verschränke die Arme und spüre diesen Stich derVerletzlichkeit von Neuem.
    Aber das hält Catcher nicht zurück. Er kommt einen Schritt näher, dann noch einen. Ich presse die Lippen aufeinander, mag nicht hoffen, dass er vielleicht seine Meinung geändert haben, dass er mich womöglich berühren könnte.
    »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, nachdem …« Er bleibt gerade außerhalb meiner R eichweite stehen. Damit bin ich auch außerhalb seiner R eichweite. »Nach … neulich. Nach dem, was ich gesagt habe und was du gesagt hast.« Er schaut weg, dann sieht er mich wieder an.
    Er hatte gesagt, ich sei schön. »Nimmst du es zurück?«, frage ich atemlos.
    Mein Herz hämmert ungestüm, während ich auf seine Antwort warte.
    »Nie.« Nervös leckt er sich die Lippen, ich muss sie anstarren, mir vorstellen, wie sie sich anfühlen.
    Ich denke an die Frage, die meine Schwester mir gestellt hat, als wir aneinandergekauert vor der Mauer gestanden haben. Ich hatte nicht gewusst, was ich antworten sollte. »Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass du nur noch ein paarTage zu leben hast?«, frage ich ihn.
    Nervös lachend fasst er sich in den Nacken. »Darüber musst du dir keine Sorgen machen, Annah«, antwortet er. »Ich werde mich um dich kümmern. Und um alle anderen. Du bist gut aufgehoben.«
    Ich trete einen Schritt vor und lege die Hand auf seinen Arm, merke, wie die Muskeln sich anspannen bei der Berührung. Ich presse mich an ihn, ziehe seine Hand herunter und verflechte unsere Finger miteinander. Die Bewegung bringt uns noch näher zusammen. Seine Brust berührt mich ganz leicht. Jetzt spüre ich seinen Atem auf der Haut und die Hitze zwischen uns.
    »Was würdest du machen?«, frage ich noch einmal leise.
    Sein Blick wird ernst, ich sehe, wie aufgewühlt er ist. »Das habe ich schon hinter mir, das weißt du doch.« Er knöpft sein Hemd auf und macht die Schulter frei. Dann legt er meine Finger auf seinen Arm, sodass ich die beiden halbmondförmigen roten Narben fühlen muss.
    Bisswunden.
    Ich weiß, dass er mir – uns beiden – in Erinnerung rufen will, dass er infiziert ist und nicht weiß, ob er mich anstecken kann – und dass er dieses Risiko niemals eingehen würde.
    »Was hast du während dieserTage gemacht?« Ich will ihn verstehen.
    »Gewartet.« Seine Stimme klingt kühl, etwas flackert in seinen Augen auf, das sofort wieder verschwunden ist.
    »Auf was hast du gewartet?«
    »Darauf zu sterben.« Da ist dieses Flackern wieder. »Allein«, flüstert er.
    Ich will weiterfragen, aber er fällt mir insWort. »Meine Zeit aufs Sterben zu warten liegt hinter mir«, sagt er. »Die Frage ist:Was würdest du tun, Annah?«
    Dieselbe Frage wie gestern Abend, nur habe ich jetzt tatsächlich eine Antwort. Ich habe es satt, einfach nur zu überleben, ich habe es satt, jedenTag nur aufzuwachen, um bis zum nächsten durchzukommen.
    Das reicht nicht mehr. Das habe ich zu lange so gemacht, und wenn ich auf diese lange R eihe vonTagen zurückblicke, dann sind sie alle leer. Ich will mehr. Mehr als mich abschotten, mehr als mich davor fürchten, dass jemand etwas für mich empfinden könnte … und ich für ihn.
    Ich will Catcher.
    Und seine Angst davor, mich anstecken zu können, habe ich auch satt.Was soll’s? Ich sterbe doch sowieso – jederTag, den ich lebe, bringt mich demTod näher. Meiner Schwester habe ich es auch schon gesagt: Es zählt nur, was du mit der Zeit machst, die du lebst.
    »Ich würde leben«, erwidere ich. Dann trete ich einen Schritt vor, lasse die Hand in seinen Nacken gleiten und presse meine Lippen auf seine.
    Er ist so verblüfft, dass er zuerst gar nicht reagiert, und ich nutze sein Zögern aus und küsse ihn intensiver. Einen Augenblick lang, nur einen kleinen Moment zwischen zwei Herzschlägen – lehnt er sich an mich. Er gibt ein schwaches Wimmern von sich,

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