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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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peitschen durch die Dunkelheit, fallen wirr in das Gesicht einer Frau, sodass kaum etwas anderes als ihr Mund zu sehen ist.
    Gehen kann man das eigentlich nicht nennen, sie bewegt sich kaum, trotzdem packt sie mich beinahe. Mit einemTritt stoße ich sie zurück, wobei ich selbst den Halt verliere. Ich falle, die Schaufel rutscht mir aus der Hand.
    Die Ungeweihte geht wieder auf mich los, so unglaublich langsam, als wäre ihr Körper mit halb gefrorenem Wasser gefüllt. Ich sollte hektisch werden, ich weiß, mein Kopf versucht das auch, doch mein Körper will nicht gehorchen. Die Hände tasten über das vereiste Ufer, wühlen im Schnee nach der Schaufel, aber bald merke ich, dass ich gar nichts spüre.
    Meine Schwester wankt an meine Seite, sie kann mit ihren zitternden Armen die Armbrust kaum gerade halten. Der erste Bolzen verfehlt sein Ziel, der zweite bohrt sich nur in die Schulter der Ungeweihten. Zielstrebig schwankt sie auf mich zu.
    Meine Hände sind nur noch gefühllose Klumpen. Ich kann mich nicht verteidigen. Nur weglaufen. Mit zuckenden Bewegungen fällt die Ungeweihte mich an, und ich laufe weg.
    Dann schnellt ihr Kopf nach hinten, die linke Seite ist zertrümmert. Meine Schwester steht mit meiner Schaufel in den Händen da und holt zum nächsten Schlag aus.
    Ich muss sämtliche Kraftreserven mobilisieren, damit ich auf die Beine komme. Einen Augenblick taumele ich, dann finde ich Halt an der Mauer. Fast werde ich ohnmächtig.
    »Nun lauf doch!«, brülle ich sie an und reiße ihr dieWaffe aus den Händen. Sie schüttelt den Kopf, aber ich gebe ihr einen Schubs. »Hol Hilfe«, rufe ich. Sie dreht sich um und kämpft sich zur Rampe vor, eine schwarze Gestalt am dunklen Abend.
    Hinter mir stöhnt die Ungeweihte, und mir fällt wieder ein, dass dieses Geräusch nichts Gutes bedeutet. Wirklich nichts Gutes. Ich schleppe mich weg, stolpere den Strand entlang. Mehr als einmal rutsche ich aus. Ich vergesse, wo ich hin will. Und warum.
    Die beste Idee scheint zu sein, sich einfach hinzulegen. Sich zusammenzurollen. Bis der Sturm vorüber ist. Die armen kalten Hände schützen, die nicht mal mehr brennen.
    Dann höre ich das Stöhnen, und ich erinnere mich wieder. Stöhnen.Tod. Schlimm . A ber jedes Mal, wenn mir ein Gedanke in den Kopf kommt, ist er schon wieder weg, ehe meine gefrorenen Finger ihn fassen können.
    Das Feuer ist weiter entfernt, als es den Anschein hat. So weit. Zu weit. Ich habe keine Kraft mehr.
    Etwas verfängt sich an mir, ich stolpere in den Schnee, kämpfe dagegen an, aber meine Arme sind gefangen, ich kann sie nicht losmachen. Es könnte ein Seil sein, aber was soll das, warum sollte hier ein Seil baumeln?
    Ich kneife die Augen zusammen und versuche dahinterzukommen, aber denken ist so schwer. Ich lasse mein Körpergewicht gegen den Widerstand fallen, und er hält mich. So ist es viel besser. Meine Beine tun nicht mehr weh. Ich kann hier liegen, im Seil verheddert. Nur einen Augenblick. Bis ich wieder weiß, was ich hier soll und die Kraft habe, es zu tun. Schlaf wird helfen. Ich brauche nur Schlaf.
    Ein Geräusch stört mich, und als ich nach unten schaue, sehe ich, dass sich da ein Mensch zu meinen Füßen zusammenkauert. Die Schultern zittern, und ich glaube, ich sollte irgendetwas tun. Ich sollte eineWaffe haben. Das meine ich noch zu wissen.
    Mit dem Fuß gebe ich dem Körper einen Schubs, ich will ihn nicht in meiner Nähe. Er rollt herum, und ich bin verwirrt, denn da liege ich auf dem Boden . A ber ich bin nicht auf dem Boden, ich habe mich in den Seilen verfangen – und dann erinnere ich mich wieder an meine Schwester.
    Angst durchzuckt mich. Meine Schwester. Ich falle auf die Knie und packe sie am Mantel. »Abigail!«, rufe ich. Ihre Lider flattern. Ich schreie sie an, werde ganz heiser, bis sie mich anschaut.
    »Gabry«, murmelt sie, und ich schüttele sie wieder.
    »Kämpfe!«, brülle ich sie an.
    »Nein.« Sie wehrt mich ab, und ich gebe ihr eine Ohrfeige, die ich nicht mal merke, meine Finger sind so taub. Ihre Augen öffnen sich, und sie runzelt die Stirn.
    »Geh weg.« Sie will sich meinem Griff entziehen, aber ich zerre sie auf die Beine.
    Der Wind heult wütend über den Fluss und hüllt alles inWeiß. Ich schubse meine Schwester die Leiter hoch, zwinge sie, das Seil mit den Händen zu packen, wenn sie aufgeben will.
    Wir schaffen es, auf die Rampe zu gelangen. Sie ist leer. Schlaf – nichts als seliger, warmer Schlaf – ruft nach mir, und ich will nichts weiter als

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