Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
schlucke ich, und wieder bohrt sich die Angst tief in mich hinein, doch ich lasse niemanden sehen, dass ich mich fürchte.
Elias protestiert, aber der weitaus massigere Ox rückt bedrohlich näher. »Für das, was sie meinem Mann angetan hat, würde ich sie eigenhändig umbringen, keine Frage«, knurrt er. »Meinst du etwa, sie kommt ungestraft davon? Du kennst mich, du solltest es also besser wissen.«
Unter Elias’ Protestrufen schleppt Conall mich zur Strickleiter. Ich trete ihm gegen die Schienbeine, doch er schubst mich an den Rand der Rampe, bis mir nichts anderes übrig bleibt, als die Leiter zu packen und mich schließlich unten auf den Boden fallen zu lassen. Er reicht mir eine Schaufel . A ls ich danach greifen will, lässt er los, sie gleitet mir durch die Hände und bleibt zwischen den Pestratten liegen, die darauf herumtrampeln.
Die Finger Ungeweihter streifen meine Knöchel, meine Nähe bringt sie zur Raserei. Ich gestatte mir nicht zu schreien, sondern packe die Sprossen der Leiter – ohne eineWaffe zurVerteidigung.
Elias springt vor, schubst Conall aus demWeg, kniet sich auf den Steg und streckt die Hand nach mir aus. Bevor ich ihn warnen kann, hat Conall sich wieder gefangen, er tritt Elias in die Rippen, und ich kann es nicht verhindern.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht fällt Elias auf die Seite, er hält sich den Bauch, will sich wieder aufrichten, aber Conall tritt ihm mit voller Kraft auf die Finger.
»Du stellst einen direkten Befehl in Frage?« Conall beugt sich tief herunter, bis sein Gesicht und das von Elias auf einer Höhe sind. Ich höre Elias vor Schmerzen stöhnen.
»Catcher wird das nicht zulassen«, stammelt er.
Ox lacht und schubst Conall aus demWeg, ehe er Elias auf die Füße zerrt. Dieser krümmt sich, will die getretene Stelle schützen und drückt die verletzte Hand an die Brust.
Als Ox spricht, klingt seine Stimme todernst und ruhig. »Catcher bestimmt nicht im Inneren Bereich, sondern ich. Wir brauchen nur einen von euch, damit er zu uns zurückkommt. Daran solltet ihr nächstes Mal denken, wenn ihr auf die R egeln pfeift.«
Wind wirbelt um uns herum und treibt mir Schnee in die Augen, meine Finger sind schon taub, weil ich mich so fest an die Strickleiter klammere. Die Fingernägel vonToten kratzen an meinerWade, sie wollen mich nach unten ziehen. Ich hole aus und trete sie weg, aber sie kommen wieder angestolpert und greifen weiter nach mir.
Wenn ich springen würde, könnte ich sie vielleicht loswerden, aber es wäre dumm und riskant, so etwas zu versuchen.Wenn ich umknicken oder mir das Bein brechen würde, wäre ich erledigt.Was soll ich nur als Nächstes tun?
Auf der Rampe über mir entsteht einTumult. Meine Schwester rammt einem R ekruter den Ellenbogen in den Bauch und nimmt ihm die Armbrust ab. Bevor jemand reagieren kann, hat sie sich einen Köcher mit Bolzen geschnappt und lässt sich direkt über mir auf die Knie fallen.
Sie schließt ein Auge und zielt auf den nächsten Ungeweihten, der sich in meine Füße krallt. »Ich bin nicht die beste Schützin, halt lieber still«, sagt sie. Ich winde mich. Dann surrt die Sehne, und mit einem dumpfen Geräusch durchbohrt eine Pfeilspitze den Schädel der Pestratte, deren Körper schlaff auf den Boden sinkt.
Sie zielt schon auf die nächste, als Ox hinter ihr losbrüllt: »Willst du deiner Schwester Gesellschaft leisten? Gut!« Er tritt ihr mit dem Fuß in den R ücken, in dem Augenblick, in dem sie den Pfeil abschießt. Der Bolzen beschreibt einen hohen Bogen und versinkt im seichten gefrierendenWasser am Ufer.
Meine Schwester schwankt am Rand der Rampe, ich kann sie auffangen, als sie fällt, und sie mit einem Arm an mich ziehen, während ich mich mit dem anderen an die Leiter klammere. Ihre Füße treten ins Leere, die Ungeweihten unter uns geraten in Ekstase.
»Nein!«, schreit Elias und stürzt in unsere Richtung. Conall packt ihn an einem Arm, ein weiterer R ekruter am anderen. Conall reißt den Fuß hoch und tritt Elias in die Kniekehlen, womit er ihn auf die Rampe zwingt. Sein Gesicht ist nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt.
Panik und Entsetzen spiegeln sich in seinen Augen. »Es wird alles gut«, sage ich zu ihm. »Wir passen aufeinander auf. Ich weiß, wie man überlebt.«
Meine Schwester hat den Arm durch die Sprossen gesteckt. Sie richtet die Armbrust auf den Kopf der nächsten Pestratte. Ohne die geringste Gefühlsregung und ohne Zögern drückt sie ab, der Ungeweihte bricht zusammen,
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