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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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Angst, dass man mir wehtut«, gebe ich zu.
    Ehe ich ihn zurückhalten kann, löst er sich von mir und geht zum Fenster. Ich hocke auf der Bettkante und schaue ihn an, betrachte sein Spiegelbild im Nachthimmel.
    »Meine Schwester Cira war angesteckt.«
    Erstaunt schnappe ich nach Luft. »Das habe ich nicht gewusst«, flüstere ich.
    »Sie war schön, und ich dachte, sie wäre stark, aber dann hat sie die Hoffnung verloren, und das war’s dann. Das Ende.« Ich höre, wie schmerzlich diese Erinnerung für ihn ist. »Ansteckung war ihre Art, sich umzubringen.«
    »Das tut mir leid.«
    »Und du.« Er dreht sich zu mir. »Du bist lebendig. Nicht infiziert. Ich will nicht mitansehen, wie dir dasselbe passiert. Das will ich nicht noch einmal durchmachen.«
    »Catcher …« Ich springe vom Bett auf, aber sein R ücken wirkt so steif, es hält mich davon ab, ihn zu berühren.
    »Du verstehst das nicht«, sagt er. »Ich existiere in dieser Zwischenwelt. Zwischen dir und Cira. Zwischen Leben undTod. Ich kenne mich selbst nicht mehr, weiß nicht mehr, was ich bin.« Er lehnt sich ans Fenster.
    »Du bist nicht dazwischen«, erwidere ich. Er will den Kopf schütteln, aber ich sage: »Liegt dir etwas an mir?« Er sieht mich mit großen Augen an. »An mir, Elias und meiner Schwester … liegt dir etwas an uns?«
    Er runzelt die Stirn. »Das weißt du doch, aber …«
    »Und die Soulers, die du auf die Insel gebracht hast? Dieser kleine Junge und die Leute, denen du in der Dunklen Stadt Essen bringst?« Jetzt stehe ich direkt vor ihm.
    Er wird rot, sieht aus, als säße er in der Falle. »Ich tue mein Bestes für sie. Ich kann nicht …«
    Ich schneide ihm dasWort ab. »Verstehst du das denn nicht? Sich um andere zu kümmern, ist eine Eigenschaft der Lebenden, nicht derToten.«
    Seine Miene wird finster. »So einfach ist das nicht, Annah.«
    Ich lehne mich vor, lege die Handflächen links und rechts von ihm auf die Fensterscheibe. »Nein, so leicht ist das. Du lebst. Du bist nur in diesem Zwischenzustand, weil du dir das so ausgesucht hast.Weil du Angst hast, richtig zu leben.«
    »Das ist nicht so einfach«, protestiert er.
    Einen Augenblick lang schwebt mein Mund über seinem. »Einfach ist das Leben nie. Und dass du es nicht einfach findest, bedeutet doch nur eines: Du bist noch lebendig.«
    Er drängt sich an mich, und ich schmiege mich an ihn, als er mich küsst. »Das bin ich wegen dir«, flüstert er mir ins Ohr. »Morgen finde ich einen sicheren Ort für uns. Für uns alle. Ich komme nicht eher zurück, bis ich einenWeg nach draußen gefunden habe. Das verspreche ich.«
    Ich küsse ihn. Wie soll ich ihm sagen, dass ich mich in seinen Armen schon sicher fühle?

33
    M ir bleibt nicht mal Zeit, Catcher zu vermissen, denn am nächsten Morgen wird meine Schwester furchtbar krank. Sie erbricht, bis sie nichts mehr im Magen hat, und dann würgt und würgt sie trotzdem noch weiter. Ihre Haut ist glühend heiß und verschwitzt, sie liegt schlaff im Bett und stöhnt im Delirium.
    Elias ist kurz davor, panisch zu werden. Er geht los und redet mit den R ekrutern, bittet um Kräuter oder Medikamente, kommt aber mit leeren Händen und einerWut zurück, die ihm aus jeder Pore quillt.
    »Denen ist es ganz egal, dass sie krank ist«, zischt er und geht im Zimmer auf und ab. Er bleibt stehen und schaut mich an, sein Gesicht ist verhärmt. »Er hat gesagt, sie brauchen nur einen von uns lebend, damit Catcher mitVorräten zurückkommt.«
    Ich werde blass, gedankenverloren streiche ich mir das Haar hinters Ohr. Haar, das nicht mehr da ist. Ich lasse die Hand in den Schoß sinken und schaue meine Schwester an, die leichenblass unter den Decken liegt.
    »Vielleicht kann Catcher uns etwas mitbringen«, sage ich mit möglichst fester Stimme, denn letzte Nacht hat er ver sprochen, er werde nicht zurückkommen, bevor er nicht einen sicheren Ort für uns gefunden hatte.
    Und ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.
    Elias und ich wechseln uns ab, wir legen kalte Tücher auf ihr Gesicht und reden ihr zu, Schnee auf der Zunge schmelzen zu lassen. Die ganze Nacht lang gehe ich vor dem Fenster auf und ab und warte darauf, dass die Seilbahn über den Fluss kommt, aber sie rührt sich nicht von der Stelle.
    Am nächsten Morgen schaue ich vom Dach aus auf die Dunkle Stadt. Elias kommt zu mir. Er wringt eineWolldecke aus, die nass ist vom Schweiß meiner Schwester und schaufelt frischen Schnee in einen Eimer, mit dem er ihre fiebrige Haut kühlen will. Und

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