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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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dass sich hinter den spanischen Fassaden mehr als ein illegales Geschäft versteckte. Sogar das Hufgeklapper der Pferdekutschen schien weit entfernt. Die Teerdecke war ausgebessert, die Bürgersteige sauber gefegt.
    Ich lief ein Stück die Straße hinauf und dann wieder zurück zu Vics Wohnhaus. Durch das vergitterte Tor konnte ich einen Innenhof mit Pool sehen. Drum herum standen ein paar gusseiserne Tische und Stühle, und das Ganze war von Bougainvillea und Bambussträuchern gesäumt. An einem sonnigen Tag war es hier vermutlich nett, heute aber wirkte der Innenhof kalt und verlassen. Um zwanzig nach drei tauchte Leon auf. Wir trafen uns am Tor, er hatte einen Schlüssel. Vics Wohnung lag im ersten Stock.
    Häuser sind wie Menschen, nur weniger anstrengend. Um sie zu verstehen, musste man erst die groben Eindrücke auf sich wirken lassen und dann die Wahrnehmung verfeinern. Zunächst einmal lief ich durch die Wohnung, Leon immer im Nacken. Die Einrichtung war protzig. Antike Möbel, alles tadellos sauber (sah man von der siebzehn Monate alten Staubschicht ab), geschmackvoll, ordentlich und vorzeigbar. Recht neue Küchengeräte und ein Loch dort, wo der Kühlschrank gestanden hatte. Wie Leon erklärte, war er mit dem Ausräumen der Wohnung nicht weiter gekommen. Zum Glück. Schlimm genug, dass der Kühlschrank fehlte.
    Ich besichtigte das Schlafzimmer, das Arbeitszimmer, das Wohnzimmer, das Esszimmer und die Küche. Nur das Arbeitszimmer strahlte eine persönliche Note aus. Sie lautete: Ich arbeite viel. Auf dem Schreibtisch stapelten sich ordentlich arrangierte Papiere. Ich blätterte darin herum. Geldangelegenheiten und Berufliches, nichts von Interesse.
    Ich lief durch die ganze Wohnung. Dann noch einmal, nur langsamer, und dann noch langsamer. Nichts passierte. In der Küche gab es zwei Sorten Geschirr, eine für besondere Anlässe und eine für den Alltag. Ich fragte Leon, wo die Vorräte wären.
    »Tja, das meiste haben wir mit dem Kühlschrank ausgeräumt«, sagte er. »Und sonst …« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist er oft essen gegangen.«
    »Keine Suppendosen?«, fragte ich. »Keine Kräcker?« Jeder hat irgendwo eine Dose Suppe herumstehen. Jeder hat irgendwo irgendeine Dose herumstehen, von der er dachte, dass er sie essen würde, und die er dann doch nicht wollte, die er aber nicht wegschmeißt, weil sie noch völlig in Ordnung ist.
    Leon zuckte die Achseln.
    Ich lief noch einmal durch die Wohnung. In den Badezimmerschränken entdeckte ich eine ganze Reihe von Medikamenten, die ältesten aus dem Jahr 1995, darunter auch eine recht neue und fast volle Flasche Codein, die ich zusammen mit einer Packung Penicillin und einem fast leeren Valiumfläschchen in meiner Handtasche verschwinden ließ. Alle Medikamente waren von einem Zahnarzt verschrieben worden.
    »Nichts«, sagte ich zu Leon und schluckte eine Valium.
    Manchmal reicht es nicht, Schubladen und Schränke aufzureißen und in Medikamentenschränken zu wühlen. Jeder weiß, das steht auf dem Programm. Jeder weiß, dass sein Medikamentenschrank irgendwann durchforstet wird. Jeder weiß, dass eines Tages die abgeschlossene Schreibtischschublade, der Safe, die Kiste unter dem Bett geöffnet werden. Ich konnte alle Verstecke in Vics Wohnung durchsuchen, aber ich wusste, ich würde dort nur finden, was Vic selbst wichtig erschienen war. Und die meisten Leute irren, wenn es darum geht, was wichtig ist. Wollte ich etwas wirklich Wichtiges entdecken, musste ich an den Stellen suchen, die Vic vergessen hatte. Was war ihm so vertraut, dass er nicht auf die Idee kam, es zu verstecken? Was war in den Ritzen der Wohnung verschwunden – zwischen den Sofakissen, hinter dem Herd? Was lag im Spülbecken? Und neben dem Bett? Was war mit den Büchern? Es gab Millionen Bücher auf der Welt, warum hatte Vic ausgerechnet diese im Arbeitszimmer stehen? Je kleiner die Büchersammlung eines Menschen war, desto weniger ließ sich daraus erschließen. Zu wenig Material, um ein Muster zu erkennen. Ein Kochbuch zwischen vier anderen Büchern war weniger aussagekräftig als zwanzig Kochbücher zwischen achtzig Romanen.
    Vic war ein klarer Fall. Zwei Bücherregale, eines für Romane und eines für Sachbücher, fast alle fest gebunden. Ich überflog die Titel. Das meiste von Dickens, alles von Flaubert und Zola, alles von Poe und der komplette Mark Twain, und alles in anständigen Ausgaben. Ich zog Thérèse Raquin aus dem Regal. Der Einband

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