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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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keine Detektivin.«
    »Bin ich doch«, sagte ich, »ich kann es beweisen.«
    »Los«, sagte er. Die anderen lachten wieder.
    »Okay«, sagte ich, »verrate mir irgendwas über dich.«
    »Was denn?«, fragte er.
    »Egal«, sagte ich. »Nur eine Sache.«
    »Okay«, sagte er. Seine Stimme klang rauh und ein bisschen heiser, als hätte er zu laut geschrien. »Also gut. Lassen Sie mich nachdenken … Okay. Als ich klein war, hat meine Schwester mich NeeNee genannt. Das war mein Spitzname.«
    Die Jungen lachten und redeten durcheinander. Ich musterte den Jungen; seine Größe, sein Gewicht, die Tattoos, der leicht überentwickelte Muskel am rechten Unterarm. Ich lauschte den verschiedenen Abstufungen seines Akzentes, während er mit seinen Freunden sprach. Seine Schuhe waren abgetragen, seine Jeanshose weit und ungewaschen. Ich beobachtete seine Körperhaltung, die Gefühlskurve seiner Wirbelsäule, die Stellung von Schultern und Unterkiefer, den leichten Überbiss, die Fältchen in seinem Gesicht, die angespannte Bauchmuskulatur. Er blinzelte zwanzig Prozent häufiger als nötig. Als ich alle Informationen gesammelt hatte, schloss ich die Augen, damit sie sich zu einem Gesamtbild zusammenfügten.
    Nach zwei Minuten war ich fertig.
    »Du bist in Atlanta, Georgia, zur Welt gekommen«, sagte ich und schlug die Augen auf. Die Jungs hörten nacheinander zu lachen und zu reden auf und drehten sich zu mir um. »Du bist 1992 geboren. Du bist mit deiner Mutter hergezogen, als du vier oder fünf Jahre alt warst. Du heißt Nicholas, Nicholas Soundso. Letzten Sommer, vor dem Sturm, hast du im French Quarter auf der Straße Eis verkauft. Deine Mutter ist abgehauen, als du acht warst. Du hast bei deiner Tante und deinem Onkel in Houston gewohnt und bist vor drei oder vier Monaten allein nach New Orleans zurückgekommen.«
    Jetzt hörten alle zu. »Dein Vater sitzt im staatlichen Gefängnis von Louisiana in Angola ein«, fuhr ich fort. »Du vermisst deine Schwester. Du hast nach ihr gesucht. Du hattest eine Freundin, aber … na ja, darüber sage ich lieber nichts. In der Schule bist du besser, als es nötig wäre. Und du magst Flugzeuge. Irgendwann«, sagte ich, »wirst du mit einem fliegen.«
    Die Jungen sahen Nicholas an und warteten auf eine Bestätigung. Er hatte die Augen aufgerissen und nickte.
    »Der Eisladen«, sagte er langsam, »war in Uptown. An der Carrolton.«
    »Heilige Scheiße«, sagte einer der Jungen.
    »Verdammt«, ein anderer.
    »Wie haben Sie das gemacht?«, fragte ein dritter. »Ich meine … Teufel noch mal.«
    »Ich hab’s euch doch gesagt«, sagte ich, »ich bin Detektivin. Und jetzt«, fügte ich hinzu, »könnt ihr mir helfen. Es geht um einen sehr wichtigen Fall.«
    Ich holte das Bild von Vic Willing aus meiner Handtasche.
    »Kennt einer von euch diesen Mann?«
    Ich reichte Nicholas das Bild. Er verneinte. Ich beobachtete sein Gesicht, während er das Bild studierte. Er sagte die Wahrheit. So wie der nächste Junge und der übernächste.
    Der Große mit dem ernsten Gesicht nahm das Bild und schüttelte so wie die anderen den Kopf.
    »Nee«, sagte er und schaute kurz nach links, »nie gesehen.«
    Er log. Er kannte Vic Willing.

    Als wir mit dem Bild fertig waren, scharten die Jungen sich wieder zusammen. Nur Nicholas, der Hübsche, setzte sich zu mir.
    »Das war ja verrückt!«, sagte er und lachte angestrengt.
    »Danke«, sagte ich.
    »Also«, sagte er und starrte zu Boden, »meine Schwester. Wissen Sie vielleicht, wo sie ist?«
    Ich betrachtete ihn. Plötzlich sah er nicht mehr wie ein Junge aus. Er sah aus wie ein kleiner, alter Mann, der die ganze ungerechte Bürde eines glücklosen Lebens trug.
    »Hast du nach ihr gesucht?«, fragte ich.
    Er nickte. Er sah unglaublich erschöpft aus.
    »Seit ein paar Jahren«, sagte er leise.
    »Ihr habt euch nicht beim Sturm verloren?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Pflegefamilie?«, tippte ich.
    Er nickte. »Ich habe sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, wo sie ist«, sagte ich, »aber ich kann dir sagen, wie du sie finden kannst. Es ist nur so … Menschen verändern sich. Das ist dir klar, oder?«
    Er nickte wieder, sein Altmännergesicht war vollkommen ernst.
    »Okay. Siehst du den Mann da drüben? Mister Mick?«, fragte ich und zeigte auf Mick.
    »Ja.«
    »Tja, du sagst ihm alles, was du über Rosie weißt – ihr vollständiger Name, das Geburtsdatum, die Sozialversicherungsnummer, falls du die weißt –, und

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