Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
AK-47 ins Wageninnere zog.
Ich sah eine verschnörkelte Tätowierung auf dem Handrücken. Es gelang mir nicht mehr, sie zu lesen.
Ich sah mich um. Neben dem Lieferanteneingang des Lokals in der Chartres stützte sich ein Junge halb sitzend, halb liegend an die Wand. Er hatte die Augen nach oben verdreht, seine Lippen formten ein entsetztes O. Ich dachte, er sei angeschossen.
Dann rollte er die Augen herunter. Er lächelte.
Wir sahen einander an. In der Wand hinter ihm sah ich einen Schweif von Einschusslöchern.
Sein Gesicht glühte. Wir lachten.
»Scheiße!«, rief er.
»Mann«, sagte ich, »wow. Alles in Ordnung?«
Er nickte lachend.
»Ich glaube«, sagte er, »ich lebe noch.«
Er stand auf, und gemeinsam suchten wir seinen Körper nach Verletzungen ab. Es gab keine. Die Leute verließen nacheinander ihre Verstecke und kamen heran, um die Löcher in der Hauswand zu bestaunen.
Ich wusste nicht, ob die Kugeln mir gegolten hatten. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Unmöglich war es nicht; ich hatte viele Fragen gestellt.
Der Junge, der nicht erschossen worden war, führte grinsend ein Freudentänzchen auf.
In New Orleans war es manchmal schwer zu sagen, wo ein Mordfall endete und der nächste anfing.
32
D ie meisten gingen davon aus, dass Constance bei Ermittlungen in einem wichtigen und gefährlichen Fall ermordet wurde. Was nicht stimmte. Constance saß mit einer Freundin in einem Restaurant im French Quarter beim Abendessen, als sie getötet wurde. Zwei Jugendliche, beide mit einer AK-47 bewaffnet, betraten das Lokal und erschossen alle Anwesenden. Acht Gäste, drei Kellner und einen Polizisten in Zivil, der den Laden bewachen sollte. Er hatte sein Bestes gegeben. Als man seine Leiche fand, hielt er einen Revolver vom Kaliber .22 in der Hand, ein Spielzeug im Vergleich zur Ausrüstung der Angreifer. Zu einem Sturmgewehr hat noch keiner nein gesagt. Die Jugendlichen hätten Constance nicht erschießen müssen, um an ihr Geld zu kommen. Sie taten es trotzdem.
Constance war Millionärin. Ich hatte gesehen, wie sie Obdachlosen tausend Dollar gab. Sie hatte ihrem Dienstmädchen ein Haus geschenkt. Die Kinder ihrer Köchin studierten in Harvard. Sie hätte diesen Jugendlichen alles gegeben, worum sie gebeten hätten, freiwillig. Aber sie baten nicht, sie schossen einfach.
Viele Leute glaubten, hinter der Sache stecke mehr. Eine Verschwörung. Ein Plan. Geheime Zusammenhänge. Constance hatte nie aufgehört, nach Silettes Tochter Belle zu forschen. Einige der Kollegen waren der Ansicht, sie müsse etwas gefunden haben – einen Hinweis, einen Zeugen, einen Verdächtigen. Silette hatte mehr als einen Anhänger, und nicht alle waren damit einverstanden, wie Constance sein Andenken hochhielt. Nicht alle waren der Meinung, dass sie seine rechtmäßige Erbin war.
Diese Leute hatten keine Ahnung vom Leben in der Stadt der Toten. Sie ahnten nicht, wie schnell es sich hier starb.
Mick hatte viele Jahre damit zugebracht, Constances Ermordung zu untersuchen. Er hatte jede Einzelheit studiert und war jedem noch so kleinen Hinweis nachgegangen. Andere Detektive hatten ihn unterstützt. Kevin McShane war eigentlich schon in Rente, half Mick aber trotzdem. Der Rote Detektiv hatte die Hügel von Oakland verlassen, um mir Theorien einzuflüstern. Das Orakel von der Broad Street bot ihre kostenlose Hilfe an. Sämtliche Ermittler der Welt waren erpicht darauf, den Fall zu lösen.
Aber am Ende gab es keinen Fall. Es gab kein Rätsel. Bloß einen verdammten Überfall. Es steckte nicht mehr dahinter als zwei abgebrannte Jugendliche, die Geld brauchten und sich nicht darum scherten, wen sie dafür töteten. Ihnen war egal, wie weise oder glamourös oder großzügig das Opfer war.
Die große Verschwörung, die Constances Tod herbeigeführt hatte, war nicht von der US-Notenbank oder vom »Kraken« oder den Anti-Silettisten ausgeheckt worden. Es war die größte und älteste Verschwörung der Welt, jene Verschwörung, die die zwei Jugendlichen hervorgebracht hatte, die Constance für ein bisschen Wechselgeld erschossen. Es war jene Verschwörung, die ihren Anfang nahm, als der erste Mensch zu seinem Nachbarn hinübersah und sich dachte: Hey, so eine Höhle hätte ich auch gern!
Constance war immer bemüht gewesen, mich vom Guten im Menschen zu überzeugen, das uns alle ein Stück weit erhebt. Ich konnte es nicht sehen.
»Eigentlich war die Erde als Paradies geplant«, sagte sie einmal an ihrem Küchentisch und biss in
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