Die Stadt der verkauften Traeume
aufmachte, gab es mehr als genug zu tun.
Lily rührte sich nicht. Sie sah Mark an und fragte sich, was er wohl dachte.
Sie wechselten einen langen Blick. Es war nicht mehr so wie zuvor, als ihre Freundschaft sogar die Zeit überdauert hatte, die Wochen und Monate, in denen sie sich so gut wie nicht gesehen hatten. Die Monate vor Marks Fest. Aber als sie sich voneinander lösten, kam es Lily so vor, als seien sie keine Feinde mehr – falls sie das jemals gewesen waren.
Es war ein eigenartig tröstlicher Gedanke.
Drittes Zwischenspiel
Der Wein ist dunkel und schwer. Er ruht in den drei Gläsern, spiegelt aber kein Licht wider.
»Kommen Sie, Miss Rita, schließen Sie sich unserem Trinkspruch an.«
Es ist kein Befehl. Der Direktor braucht keine Befehle zu erteilen. Vorsichtig nimmt sie das Glas vom Schreibtisch und führt es an die Lippen. Der Wein schmeckt streng und sehr sauer, aber sie lässt sich nichts anmerken. Der Direktor hält sein Glas ins Licht der Kerze, doch nur ein dunkler Glanz scheint hindurch. Die dritte Gestalt nimmt kleine, stille Schlückchen zu sich. Miss Rita erschauert. Es wäre ihr lieber, der Dritte im Bunde würde auch etwas sagen.
»Ein uralter Jahrgang, Miss Rita«, sagt der Direktor mit einem feinen Lächeln auf den dünnen, trockenen Lippen. »Er wurde an dem Tag, an dem die Stadt gegründet wurde, in unseren Kellern eingelagert. Können Sie sich eine derartig lange Zeit vorstellen?«
Miss Rita schürzt die Lippen und wirft noch einen Blick auf die dritte Gestalt. Sie erwidert ihren Blick und lächelt. Auch sie weiß, dass auf diese Frage keine Antwort erwartet wird.
Der Direktor setzt sein Glas ab. Er hat den Wein nicht angerührt.
»Natürlich ist er ungenießbar. Wein reift nicht mit derselben Geschwindigkeit wie Städte. Dennoch habe ich das Gefühl, dass unsere Gründer eine symbolische Geste erwarten würden, jetzt, wo wir uns der Erfüllung ihrer edelsten Pläne nähern. Ist alles vorbereitet, Miss Rita?«
»Jawohl, Sir. Sämtliche Vorbereitungen sind getroffen.«
Der Direktor fahrt sich mit der Fingerspitze über die Lippen. »Dann wissen Sie, was Sie zu tun haben.« Er wendet sich an die dritte Gestalt. »Sind auch Sie vorbereitet, unsere Vereinbarung anzuerkennen?«
Die Gestalt nickt. »Ist mir ein Vergnügen, Sir.«
»Daran hege ich keinen Zweifel. Aber beeilen Sie sich, ein Missgeschick wäre« – der Direktor runzelt die Stirn, und sein Gesicht verwandelt sich im Kerzenlicht zu einem Muster aus Licht und Schatten – »zu diesem Zeitpunkt mehr als bedauerlich. Ruthven betrachtet dieses Büro mit begehrlichen Augen. Es wäre höchst unklug, seinen Anhängern in die Hände zu spielen. Schon jetzt bezeichnen sie die Vernichtung einer unserer Kopien des Statuts als ein schlechtes Omen.«
Eine kurze Stille tritt ein, die lediglich vom verlorenen Ticken einer Uhr unterbrochen wird. Miss Rita führt eine Hand zum Mund und hüstelt. Der Direktor sieht zu ihr hin.
»Ganz recht, Miss Rita, Sie haben zu arbeiten. Bitte, lassen Sie uns allein.« Der Direktor wendet sich der anderen Gestalt zu. »Wir haben noch viel zu besprechen.«
»Aber selbstverständlich, Sir«, sagt Miss Rita.
Sie ist nur allzu froh, sich wieder in ihr Büro zurückziehen zu dürfen, zurück in die Welt, die sie versteht. Obwohl sie eine Frau ist, die viele Geheimnisse hütet, ist ihr bei dem Gedanken daran stets unbehaglich zumute.
Die Tür schließt sich hinter ihr. Der Direktor beugt sich vor.
»Nun denn, Mr Snutworth. Es ist an der Zeit, dass Sie endlich handeln.«
Snutworth stellt sein leeres Glas ab und lächelt.
KAPITEL 21
Der Untergang
Mark schlürfte seinen Tee mit so viel Annmut, wie er aufbringen konnte.
Der Geschäftsmann in ihm wusste, dass Cherubina nun durch den allerstrengsten Vertrag an ihn gebunden war. Wenn er nicht gerade aufsprang und ihr die Teekanne über den Kopf schlug, gab es so gut wie keinen Grund für sie, ihn wieder zu verlassen, und selbst dann würde ihre Mutter sie wohl schon bald zurückschicken. Trotzdem bemühte er sich nach Kräften, in ihre Welt zu passen. Im Geschäftsleben war er unnachgiebig, plusterte sich vor den Augen der Welt auf, aber hier zwängte er sich auf zierliche Stühle und versuchte zu lächeln wie die Puppe zu seiner Linken – sein Ebenbild.
Nur allmählich wurde er sich bewusst, dass Cherubina wieder etwas sagte.
»… weiß nicht, wie du da oben in dem Turm zurechtkommst, mit so gut wie keinem Diener, der sich
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