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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Lily?« Er sah sie an, und einen Moment lang wirkte er sehr verloren.
    Lily nahm seine Hände.
    »Wir überleben, Mark. Mehr können wir nicht tun. Wir versuchen, weiterzuleben und irgendwo etwas zu finden, wo wir uns zu Hause fühlen.« Sie sah, wie sich ihre eigenen dunklen Augen in seinen grauen widerspiegelten. »Wir tun für uns, was wir können.« Sie drückte seine Hände. »Und füreinander.«
    Beide starrten einen lange Weile ins Feuer, doch falls dort in den Flammen ein flüchtiger Schimmer der Zukunft zu sehen sein sollte, konnte Lily ihn nicht erkennen. Dann schlug Mark sein neues Buch auf.
    »Wenn ich die Küche saubermache, bringst du mir dann bei, wie man liest?«, fragte er.
    Lily lächelte. »Das dürfte für die ersten Lektionen genügen.«

 
KAPITEL 3
     
Der Handel
     
    Einen Monat später stellte Mark zu seiner eigenen Verwunderung fest, dass er glücklich war. Zumindest war er naher daran, glücklich zu sein, als er es erwartet hätte.
    Dabei gab es nicht viel, worüber er hätte glücklich sein können. Nachts, wenn er sich zum Schutz gegen die Kälte des zugigen Turms zusammenkauerte, suchten ihn seine finsteren Gedanken wieder heim. Dann tauchte das Gesicht seines Vaters vor ihm auf, er sah, wie er ein Messingsiegel in Wachs drückte und seinen sterbenden Sohn für ein paar Wochen Behandlung an einen Doktor verkaufte. Dann tauchte ebenjener Doktor auf und verkündete, dass sie wieder gemeinsam durch die Straßen der Stadt ziehen würden.
    Dort draußen war der Doktor ein anderer Mensch. Im Turm war es fast wie ein Spiel. Da schien er in einen alten Weisen verwandelt zu sein, der frohlockend das Elixier des Lebens hütete. Oft entschuldigte er sich bei Mark für die schlimmsten Sachen – das Sezieren, die übel riechenden Substanzen –, doch dort unten im Keller, zwischen den trockenen Steinen, fühlte Mark sich stets sicher und geborgen.
    Draußen auf der Straße setzte der Doktor die Maske des Schnitters auf, dieses glatte weiße Gesicht mit der schwarzen Schutzbrille. Auch Mark musste eine aufsetzen. Sie würde ihn vor anderen Krankheiten in den Elendsvierteln schützen, sagte er, und außerdem diente sie als Amtszeichen. In der Stadt ging Doktor Theophilus mit schnellen Schritten und sprach so wenig wie möglich. Mark sah ihm die Anspannung an den Händen an, wenn er ihm die Instrumente und Flaschen reichte. Er konzentrierte sich oft auf die Hände des Doktors – dadurch musste er nicht in die erschrockenen Gesichter rings um ihn her blicken.
    Er konnte nicht anders. Er wusste, dass der Doktor recht hatte, wenn er sagte, dass er sich unmöglich noch einmal mit der Seuche anstecken konnte. Natürlich verstand er es nicht, es hatte etwas mit der »Reinigung der üblen Körpersäfte« zu tun, doch sein Herr hatte keinen Grund, ihn anzulügen. Wenn er aber dort draußen war, auf der Straße …
    Es war der Gestank. Er war an den Geruch von Fäulnis, von Schimmel, Fisch und fauligem Flussschlamm gewöhnt, der hatte ihn sein ganzes Leben lang umgeben. Aber am Fluss konnte er den Himmel sehen. Dort, in den engen Gassen, wo er von Tausenden drängelnden Schatten hin und her gestoßen wurde, schien es ihm, als würden ihm die Gerüche regelrecht in Nase und Mund gestopft, als würde sein Kopf immer dicker vor lauter fauliger Luft und tapsenden Schritten. Keiner grüßte den anderen im Vorüberhasten.
    Manchmal dachte er daran zurückzukehren, nachzusehen, ob sein Vater noch am Leben war, doch etwas hielt ihn immer davon ab. Er erzählte Lily, dass es der Gedanke an die Stadt war, gewaltig und niederschmetternd, die sich zwischen dem Turm und seiner alten Wohnstätte erstreckte, und sie sagte, dass sie ihm glaube. Dafür war er dankbar, besonders, weil sie beide wussten, dass das nicht der einzige Grund war. Wenn er zurückging, würde er entweder einen toten Vater vorfinden oder den Mann, der ihn verkauft hatte. Das Schreckliche daran war, dass er nicht wusste, was schlimmer wäre.
    Er hatte die Luft im Turm schätzen gelernt – trocken, staubig und sicher. Der Turm hatte sich in seiner Vorstellung verändert, er schien aus den ihn umgebenden Gebäuden herauszustrahlen und ihn stets nach Hause zu rufen. An einem derart leeren Ort konnte keine Krankheit lange überleben. Als die Zeit gekommen war, seine Ausbildung bei dem Doktor vertraglich abzusichern, hatte er es kaum erwarten können, dass das Wachs auf das Papier getropft war. Auf dem Siegel des Doktors waren ringsum sechs Sterne, wie bei

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