Die Stadt der verkauften Traeume
würde.
Er dachte an Lily. Er wollte ihr schreiben. Er brauchte dringend jemanden, mit dem er reden konnte, auch wenn sie ihm immer noch nicht wieder vertraute. Mit Cherubina konnte er sich viel besser unterhalten als zunächst erwartet, aber es war nie ganz dasselbe gewesen. Sie dachte eigentlich über nichts nach, was sich außerhalb ihres eigenen Lebens abspielte. Und Lily war immer eine wunderbare Zuhörerin gewesen.
Genau in diesem Augenblick ratterte eine Kutsche vorbei, und Mark sprang zur Seite, um nicht vom Straßendreck bespritzt zu werden. Seine Gedanken verflüchtigten sich.
»Sind wir so weit, dass wir die anderen Diener wieder einstellen können, Snutworth?«, knurrte er. »Ich hasse es, überallhin zu laufen. Als Allererstes müssen wir den Kutscher zurückzuholen.«
»Ich werde es mir notieren, Sir«, versicherte ihm Snutworth. »Aber wie dem auch sei, im Augenblick gibt es einige letzte dringliche Geschäftsaufträge. Wenn Sie hier Ihr Siegel eindrücken wollen?«
Mark spürte, wie er immer wieder angerempelt wurde, als sie sich dem großen Marktplatz näherten.
»Kann das nicht warten, bis wir im Turm sind?«, fragte er.
»Selbstverständlich, Sir, ich dachte nur, ich mache einen kleinen Umweg und stelle gleich heute noch neues Personal ein. Bis zum Abend könnten Sie einen neuen Koch haben, Sir.«
Mark seufzte. »Dann her damit.«
»Sir.«
Mark versuchte in seinen üblichen Rhythmus zu kommen. Er drückte seinen Siegelring in das weiche Wachs, aber seine Gedanken gingen schon wieder hemmungslos spazieren. Er dachte über diesen neuen Koch nach. Ob es wohl ein Mann oder eine Frau sein würde? Alt oder jung? Im Verlauf des vergangenen Jahres war der Koch lediglich Mittel zum Zweck gewesen. Er hatte sogar drei davon im Turm gehabt und hätte nicht einen von ihnen auf der Straße wiedererkannt. Wenn er an die Küche dachte, sah er dort nach wie vor Lily, wie sie mit einer Hand den Topf umrührte und mit der anderen auf die Kolonnen unbekannter Worte zeigte.
»Ich glaube«, sagte Mark mit Bedacht, als er Snutworth die Dokumente zurückgab, »ich werde mitkommen, um die neuen Diener auszusuchen. Ich finde, ich sollte sie kennen.«
»Wenn Sie das wünschen, Sir.« Snutworth hörte sich skeptisch an. »Ich verstehe nur nicht ganz, warum.«
»Wenn ich Ihre Meinung hören möchte, frage ich danach«, blaffte Mark.
»Sir.«
Sie gingen eine Weile schweigend weiter. Mark brütete noch immer über seinen neuen Gedanken. Wenn er wusste, wer seine Diener waren, dachte er, warum sollte er dann nicht auch seine anderen Arbeiter in seinen vielfältigen Unternehmungen kennen? Warum nicht die, die seinen Fisch kauften und seinen Schmuck und seine Vorhersagen? Kannte er wirklich einen von denen, mit denen er ständig zu tun hatte? Er blickte in das Meer von Gesichtern, die ausnahmslos den Blicken der anderen auswichen und sich nur um ihre eigenen Besorgungen scherten.
Blieb denn irgendeiner von ihnen jemals stehen und sah sich um?
»Wir sind fast da, Sir«, sagte Snutworth. Das Pochen seines Gehstocks wurde schneller.
Mark blickte auf. Dort, ein Stück weiter, durch die breiten Straßen des Zwillinge-Bezirks, sah er die dunkle Säule seines Turms. Die spätherbstliche Sonne glitzerte auf dem Glas des Observatoriums; der schmale, uralte Schatten des Turms erstreckte sich bis zu ihm. Mark lächelte. Dieses Wunder gehörte ihm, das vornehmste in der ganzen Stadt, mit Ausnahme des Direktoriums selbst. Und von den Fenstern dort oben würde er nach und nach alles sehen, alles erkennen und verstehen …
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Eine Hand, die in einem mitternachtsblauen Handschuh steckte.
»Mr Mark?«
Mark drehte sich um. Es war kein altes Gesicht, aber es hatte schon einigen Stürmen getrotzt. Es war nicht brutal, aber das energisch vorgereckte Kinn deutete an, dass der Mann keinen Widerspruch duldete. Mark warf einen kurzen Blick auf die Dienstmarke, die er ihm unter die Nase hielt.
»Ja, Inspektor …« Er kniff die Augen zusammen, um die Inschrift zu lesen. »Greaves?« Mark spürte einen leisen Schauder, denn er erinnerte sich an diesen Namen aus den Berichten hinsichtlich Glorias Tod. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er besorgt.
»Allerdings, Sir«, sagte der Inspektor grimmig.
Erst jetzt nahm Mark die anderen Eintreiber wahr, die um ihn herum in der Menge standen. Ihm fiel auf, dass einige Leute einander etwas zuflüsterten. Und vor allem bemerkte er, dass Snutworth sich
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