Die Stadt der verkauften Traeume
jetzt so einiges davon mir.«
»Sie sind gestorben, Miss Devine.«
»Sicherlich. Trotzdem. Doch ich will nicht kleinlich sein. Ein regulärer Vertrag mit einem Doktor über kostenlose Behandlung dürfte schon einen Teil der neuen Miete abdecken.« Die Frau lächelte.
Lily erschauderte. In dem Lächeln lag nichts Boshaftes. Und genau das machte es so beunruhigend; es war, als sähe sie den Schmerz nicht, der über das Gesicht des Doktors huschte.
»Ich brauche auch neues Glasgeschirr«, sagte Theophilus schließlich und machte eine vage Handbewegung in die Richtung von Miss Devines Laden. »Wegen der Miete werden wir uns schon einig. Komm mit, Lily.«
Stumm folgte Lily den Erwachsenen um die Ecke zum Haupteingang von Miss Devines Laden. Hier glitzerte es im ersterbenden Tageslicht sogar noch mehr, denn die gesamte Fassade war mit winzigen bunten Glasscherben bestückt, in denen ein rotes Muster Miss Devine als Glasmacherin auswies. Nachdem sie der Frau durch den schweren Vorhang gefolgt waren, der als Tür diente, nahm die Helligkeit jedoch dramatisch stark ab. Im Inneren des Ladens waren die Wände mit winzigen Glasfläschchen übersät. In jedem davon glitzerte etwas im Halblicht einer alten Lampe. Lily sah, wie der Doktor und Miss Devine in ein Hinterzimmer gingen, das nur vom flackernden Licht eines Glasbläserofens beleuchtet war, und nachdem man sie allein zurückgelassen hatte, ließ sie ihre Blicke über die Regalwände schweifen. Auf jedem dieser kleinen Fläschchen stand etwas geschrieben, aber im Zwielicht konnte sie nichts davon lesen. Sie kniff die Augen zusammen, trat näher heran und konzentrierte sich auf eine dunkelbraune Flüssigkeit. Etwas war in das Glas gekratzt … Ein Wort.
Ehrgeiz.
»Das da ist ganz was Feines.«
Lily fuhr erschrocken zusammen. Eine Gestalt trat aus dem Schatten. Zuerst dachte Lily, es sei Miss Devine, doch dann erkannte sie, dass es eine viel jüngere und auch viel dünnere Frau war. Ihre zerzausten roten Locken bedeckten den größten Teil ihres Gesichts, sodass Lily kaum mehr als zwei große Augen sah, die sie mit eigenartiger Helligkeit anblickten. Lily fiel auf, dass sie eins dieser Fläschchen in den Fingern hielt – eine blasse, gelbliche Flüssigkeit, die zu zittern schien, obwohl die Frau ihre Hand ganz ruhig hielt.
»Ist das so etwas wie Parfüm?«, fragte Lily und versuchte mit ihrem höflichen Ton ihre Unsicherheit zu überspielen. Sie hatte so etwas schon einmal in der alten Garderobe im Turm gesehen, ein Überbleibsel aus den Zeiten der Mutter des Grafen.
Die Frau lachte. »Nein, junges Fräulein, hier gibt es nichts anderes zu riechen als den Duft des Erfolgs. Das hier ist purer Ehrgeiz, zum Verkauf abgefüllt. Sehr teuer übrigens und eins von Miss Devines allerbesten Produkten. Man sagt, sie melke die Diener in den alten Häusern, das lässt sie ihren Herren gegenüber gefügig bleiben. Es macht jeden glücklich.«
Lily sah sich die Flasche noch einmal an. Das musste ein Scherz sein, ganz bestimmt, doch die Frau hatte es gesagt, als wäre es das Natürlichste auf der Welt.
»Gloria!« Die schneidende Stimme von Miss Devine, die jetzt wieder im Durchgang zum Hinterzimmer stand, bohrte sich in ihre Gedanken. Die Frau, Gloria, sah lächelnd auf. Miss Devine nickte ihr geschäftsmäßig zu.
»Das Übliche – ja?«
»Ganz recht, Miss Devine«, antwortete Gloria hastig und hielt das Gefäß mit der gelben Flüssigkeit hoch, damit Miss Devine es sehen konnte. »Nicht im Traum würde ich irgendwo anders hingehen.«
»Braves Mädchen.«
Lily beobachtete, wie Miss Devine von einer langen Rolle auf dem Tresen einen Streifen Papier abriss. Sie schrieb mit geübter Geschwindigkeit, ließ das Wachs tropfen und hatte es mit ihrem Siegel versehen, noch bevor Gloria eine kleine Ledertasche von ihrem Gürtel gelöst und auf den Tresen gelegt hatte. Lily sah, wie Gloria mit ihrem Siegelring herumfummelte, ehe sie ihn ins Wachs drückte und ihr Symbol – ein Podest in einem Laubkranz – direkt neben Miss Devines Fläschchen mit der Flüssigkeit zurückließ. Die Glasmacherin nahm die kleine Tasche an sich, öffnete sie und roch ausgiebig hinein.
»Wie ich sehe, hat der Gewürzhändler auf der Aurora-Straße deine Dienste wieder in Anspruch genommen, Gloria. Ausgezeichnete Ware, sehr brauchbar.«
»Ist es genug?«, fragte Gloria und nestelte dabei an ihren langen Ärmeln herum.
Lily fiel auf, dass sie angefangen hatte, ihre Handgelenke nervös
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