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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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aneinanderzureihen. Miss Devine lächelte. »Für heute schon, Gloria. Weil du eine so gute Kundin bist.«
    Gloria nickte vergnügt und schob das Fläschchen in ihre Tasche. Lächelnd wandte sie sich Lily zu. »Das beste Gefühl in der ganzen Stadt, Miss«, sagte sie, als ließe sie Lily an einem großen Geheimnis teilhaben. »Das allerbeste.« Damit verließ sie das Geschäft.
    Miss Devine ließ den Vertrag und die kleine Tasche verschwinden. »Dein Meister dürfte noch eine Weile brauchen, Mädchen. Er sucht sich aus meinem Lager zusammen, was ihm noch an alchemistischer Ausrüstung fehlt.« Die Glasmacherin kam auf Lily zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie fühlte sich hart und trocken an. »Wie lange arbeitest du schon für diesen Doktor?«
    »Noch nicht sehr lange«, antwortete Lily und löste sich vorsichtig aus Miss Devines Berührung, wobei sie den Blick respektvoll gesenkt hielt. Es hatte keinen Zweck, jemandem gegenüber keck zu sein, den man nicht kannte; schon gar nicht, wenn diese Person einige Macht über ihren Herrn zu haben schien.
    »Bist du auf deine Pflichten vorbereitet worden?« Miss Devine nahm eine Strähne von Lilys dunklem Haar und wickelte sie um ihren Finger. »Arbeit bist du gewohnt, Mädchen, das sehe ich deinen Händen an. Aber hast du auch schon den Tod gesehen?«
    Lilys Magen schien einen Salto zu schlagen. Sie hatte versucht, diesen Gedanken ganz weit nach hinten zu drängen.
    »Nur ein Mal bis jetzt«, sagte sie. »Da habe ich dem Doktor sein Mittagessen gebracht … hinunter in seine Arbeitsräume …« Der schrecklich starre Gesichtsausdruck stieg wieder vor ihr auf, und sie erschauderte.
    »Die Gehilfin eines Arztes muss oft dem Tod ins Gesicht blicken, Mädchen. Wunden und Krankheiten und dann die Fliegen …« Miss Devine lächelte. »Verzeih mir, aber du musst schließlich wissen, was dich erwartet. Allein der Gedanke daran lässt dich blass werden.«
    »Ich …« Lily schluckte. Sie spürte, wie es in ihrem Inneren rumorte. Es war dumm. Sie hatte sich selbst schon oft gesagt, dass ein Toter ihr nichts antun konnte, aber trotzdem … »Es ist das Blut. Bei Blut wird mir schlecht … Es …« Lily verstummte. Sie kannte kein Wort für das, was sie fühlte.
    »Keine Bange, Lily«, sagte Miss Devine und ging wieder hinter den Tresen. »Ekel ist natürlich, eines unserer grundlegendsten Gefühle. Und« – sie drehte sich mit einem mütterlichen Lächeln im Gesicht um – »natürlich ist es auch ein wertvolles Handelsgut.«
    Lily blickte erschrocken auf, während Miss Devine weitersprach.
    »Manche Leute sind froh und dankbar dafür, gelegentlich ein wenig zusätzlichen Ekel zu verspüren. Er wirkt wahre Wunder als Abnehmhilfe bei den Damen der Gesellschaft, und ein Hauch Abscheu hilft den Leuten, einen ausgewogeneren Blick auf ihre Geschäfte zu werfen. Doch, mit Ekel mache ich recht gute Geschäfte. Und selbstverständlich ist der Ekel eines Kindes besonders frisch. Bevor einen die Welt abstumpfen lässt.«
    Lily hob den Kopf. Ringsumher erstreckten sich die Regale vom Boden bis zur Decke. Auf den Regalen drängte sich ein Glasfläschchen ans andere, Hunderte von ihnen, vielleicht sogar Tausende. Und jedes einzelne enthielt einen Teil von jemandem, ein Stück seines Gemüts, eingedampft und fertig zum Verkauf. Sie schauderte.
    »Miss Devine …« Lily hielt inne. Es kam ihr unnatürlich vor. Am liebsten wäre sie davongelaufen und hätte irgendwo draußen auf den Doktor gewartet. Andererseits … Welchen Nutzen konnte Ekel schon haben? Angst sorgte für ihre Sicherheit, Zorn gab ihr Antrieb, aber Ekel? Damals, als im Waisenhaus das Essen ausgeteilt wurde, wäre sie sehr gut ohne ihn ausgekommen.
    »Als Bezahlung für einen Teil der Glassachen vielleicht, die dein Meister sich aussucht?« Miss Devine zog noch einen Streifen Papier hervor und schnitt ihn mit einer Glasklinge zurecht. Lily sah zu, wie vor ihren Augen ein Vertrag entstand. Drei Teile alchemistischer Ausrüstung im Tausch gegen ihren Ekel. Ihr wurde schwindlig, denn sie wusste nicht, ob sie das alles richtig verstand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Doch dann hörte sie eine Stimme der Vernunft, die sie inmitten ihrer durcheinanderwirbelnden Gedanken überzeugte. Sie konnte dem Doktor ohne großes Aufhebens helfen, und er konnte weiter seine Forschungen betreiben; damit wären viele Schwierigkeiten auf einen Streich behoben.
    Sie drückte ihren Ring in das warme Wachs.
    Miss Devine rollte den Bogen

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