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Die Stadt der verkauften Traeume

Die Stadt der verkauften Traeume

Titel: Die Stadt der verkauften Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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dem Bogen hindurchgingen, las Lily die Inschrift darauf.
    Schütze-Bezirk.
    Jenseits des Bogens schienen sich die Straßen wieder zusammenzuziehen, die Menschenmengen jedoch nahmen weiter zu, und das Gebrüll derer, die ihre Waren anpriesen, wurde noch lauter als zuvor. Aber Doktor Theophilus’ leiser Schritt führte davon weg, hinein in kleine Gassen, in denen sich unauffällige Gestalten an ihnen vorbeizwängten, von denen keine irgendwo stehen blieb.
    Die Steine wurden schmutziger, die Straßen rauer, und manchmal versanken Lilys Schuhe bis zu den Knöcheln im Dreck. Als sie eine Gestalt näher betrachtete, bemerkte Lily, dass sie nichts anders zu verkaufen hatte als Ziegel und Steine, die sie aus den baufälligen Gebäuden ringsum herausgekratzt hatte. Als sie immer tiefer in dieses Stadtviertel vordrangen, waren die behelfsmäßigen Stände bald völlig verschwunden. Jetzt hatten die, an denen sie vorüberkamen, etwas ganz anderes zu verkaufen, und das konnte nicht ausgestellt werden.
    Lily sah sie an und hörte sofort wieder die Worte der Oberin des Waisenhauses: Es gibt keine Bettler in Agora, Kinder. Jeder schlägt sich durch, indem er irgendetwas zum Tausch anbietet, denn es gibt immer jemanden, der bereit ist zu handeln.
    Lily zog den Kragen von Marks Mantel eng um sich. Er war ihr zu groß, aber er war Teil ihres Vertrags gewesen, und jetzt verbarg sie mit seiner Hilfe ihr Gesicht. Einige der Schatten in den Eingängen wandten die Köpfe, als sie vorüberging, streckten die Hände aus, die mit grauen Flecken übersät waren. Lily wich zurück. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, die Hand des Doktors zu ergreifen. Es war lächerlich, denn sie war ja seine Dienerin, doch in diesem Augenblick fühlte sie sich sehr allein.
    Sie streckte die Hand aus, und zu ihrer Verwunderung ergriff er sie. Er drückte sie kurz. Nicht fest, doch sie richtete ihren Blick darauf, sah ihre dunkle Hand in seinem schwarzen Handschuh liegen. Dann blieb er kurz stehen und blickte auf sie herab. Sein Gesicht war hinter der Maske verborgen, aber in der Art und Weise, wie er ihr ein dickes Stück Stoff reichte, das sie als Kopftuch benutzen konnte, lag so etwas wie Fürsorge. Jetzt taten ihr auch die Füße weh, und von all den neuen Eindrücken war ihr schwindlig. Die Gebäude schienen sich bis in den Himmel zu erstrecken, sich drohend über ihr aufzurichten.
    »Sir …«, sagte sie schließlich, »ich glaube, ich kann nicht mehr weiter …«
    »Wir sind gleich da, Lily«, brach Theophilus sein Schweigen. »Nur noch ein paar Straßen.«
    Während Lily ihre müden Füße über die Pflastersteine des Schütze-Bezirks schleppte, fiel ihr plötzlich ein, dass sie keine Ahnung hatte, wohin sie überhaupt wollten.
    Hier gab es Ladengeschäfte, ordentliche Häuser, doch sie standen zusammengedrängt wie Gesindel, türmten sich beinahe übereinander. Und immer noch gingen sie weiter, bis der Doktor, ohne es ihr zu sagen, plötzlich in eine Seitenstraße einbog und einen Schlüsselbund hervorzog.
    »Da wären wir«, sagte er.
    Das Gebäude sah von außen wie alle anderen aus. Sein Gemäuer war dunkelrot, aber es wirkte stiller als die übrigen; in den Fenstern hingen keine bunten Fahnen, die es irgendeiner Zunft zuwiesen. Es lag im Schatten eines glitzernden Ladens, dessen Fassade über und über mit Glasscherben übersät war. Eine kleine Frau erschien im Eingang des Ladens und schaute zum Doktor herüber, der einen Schlüssel nach dem anderen ins Schloss steckte.
    »Theo?«, sagte die Frau schließlich, und der Doktor ließ die Schlüssel mit einem unterdrückten Fluch fallen. Er wandte sich um und zog die Maske vom Gesicht.
    »So ist es, Miss Devine«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. »Ich frage mich gerade, ob dieses Schloss …«
    »Es ist ausgewechselt worden«, erwiderte sie und schlich sich zur Tür hinüber. »Der Schlosser hat sich ein bisschen zu interessiert gezeigt … Ihre Eltern haben mich damit beauftragt, ein wenig nach dem Rechten zu sehen, Theo.«
    »Gut so.« Theophilus runzelte die Stirn, und seine Augen zuckten zur Seite. »Wenn Sie uns den Schlüssel jetzt geben würden, Miss Devine. Ich habe vor, hier zu praktizieren. Soweit ich weiß, gehört das Anwesen noch immer mir.«
    »Zu einem gewissen Teil, Theo, zu einem gewissen Teil.« Sie hob eine Hand, die mit blauen Schlieren beschmiert war, und fuhr mit einem Finger über die Tür. »Da Ihre Eltern bei ihrem Weggang nicht alle Schulden bezahlt haben, gehört

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