Die Stadt der verkauften Traeume
diesem Abend Agoras angesehensten Mann des Rechts zu begrüßen. Einen Mann von großem Urteilsvermögen und unbestrittener Ehre, eine unanfechtbare Instanz unseres Gemeinwesens: Heißen Sie bitte den Lordoberrichter Lord Ruthven willkommen.«
Mark seufzte erleichtert auf. Mit der Ankunft seines wichtigsten Gastes war die Zeit für seinen eigenen Auftritt gekommen. Den ganzen Tag über war gemunkelt worden, dass Lord Ruthven nicht erscheinen würde. Und die Hälfte seiner Gäste war nur gekommen, um den Mann zu sehen, der das Vertrauen des Direktors genoss …
Mark rückte nervös seine Maske zurecht, setzte ein Lächeln auf und versuchte, zehn Jahre älter auszusehen, als er war. Dann trat er aus dem Zelt.
»Lord Ruthven«, sagte er, »wie schön von Ihnen, zu meiner kleinen Feier zu kommen.« Er verneigte sich leicht, gerade tief genug, um seine Achtung zu bezeugen, ohne sich dabei selbst zu demütigen. Er hatte diese Bewegung stundenlang im Turm geübt und versucht, die Neigung exakt hinzubekommen.
Lord Ruthven, der in seine prächtigen Staatsgewänder und eine funkelnde Maske gehüllt war, die eine Sonnenfinsternis darstellte, nahm die Verbeugung huldvoll entgegen. Dann erwiderte er sie, zu Marks großer Freude, und das vor aller Augen.
»Aber ich bitte Sie, Mr Mark«, sagte Lord Ruthven freundlich. »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.«
Mark straffte sich. Sollte er gleich noch einen Schritt weiter gehen? Dabei gesehen werden, wie er eine Unterhaltung begann? Er warf einen Blick rechts an Lord Ruthven vorbei. Dort stand natürlich Snutworth, unmaskiert, wie es für einen Diener angemessen war. Er lächelte, schüttelte dabei aber kaum merklich den Kopf. Mark verstand sofort: Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.
»Ich hoffe, dass wir später noch ein paar Worte wechseln können, Mylord«, sagte Mark, vor Erleichterung etwas zu hastig. »Aber jetzt«, er drehte sich um und nickte Laudate zu, »lassen wir den Tanz beginnen.«
Mark wartete, bis Ruthvens Gefolge sich in Richtung der Saiteninstrumente, die noch kurz gestimmt wurden, entfernt hatte, bevor er sich zu Snutworth durchschlängelte.
»War das gut?«, fragte er.
Snutworth strahlte. »Ausgezeichnet, Sir. Natürlich ist unsere Arbeit noch lange nicht zu Ende, aber als Eröffnungsschachzug … vorzüglich.«
Mark entspannte sich, und seine steife Haltung fiel für einige wohlige Augenblicke von ihm ab. Er machte dies nun schon seit Monaten und wusste inzwischen, wie man sich in der Gesellschaft der Reichen verhielt: stets ehrerbietig, aber immer so, dass man vermuten konnte, es stecke noch viel mehr in ihm, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Er hatte diejenigen überstanden, die mit ihm geredet hatten, als sei er schon seit Jahren im Geschäft, und er hatte gelernt, sich zu fügen, wenn manche von ihnen, für gewöhnlich ältere Damen, sich in den Kopf setzten, ihn für den Abend unter ihre Fittiche zu nehmen, als sei er ein Rotzlümmel von gerade mal sieben Sommern. Er musste für die Leute alles Mögliche sein, doch Lord Ruthven war der Allerwichtigste, und Mark hatte sich vorgenommen, alles daranzusetzen, dass diese Gelegenheit sich zu seinen Gunsten entwickelte.
»Kann ich mich einen Augenblick ausruhen?«, fragte Mark vorsichtig. »Ich habe keine große Lust, jetzt schon zurückzugehen. Die Gruppe alter Damen dort drüben sieht mir sehr nach Wangenzwickern aus …«
Snutworth lachte. »Ich denke, Sie dürfen den Ablauf jetzt eine Weile Mr Laudate und Miss Gloria überlassen; schließlich kennen die beiden sich damit aus.«
Mark sah hinüber zu Laud, der dem Dirigenten des Streichquartetts Anweisungen gab. Dies hielt ihn jedoch keineswegs davon ab, sich anmutig vor den vorbeischreitenden Gästen zu verneigen. Vor Lord Ruthvens Gruppe wurde gar überschwänglich der Hut gezogen, und seine Verbeugung fiel so tief aus, dass er mit der Nase fast den Boden berührte.
»Übertreibt er es nicht ein wenig?«, murmelte Mark, doch Snutworth schüttelte weise den Kopf.
»Glaubt ja nicht, dass Lord Ruthven ihm mehr abnimmt, als Mr Laudate damit ausdrücken will. Es ist ein Spiel, das wir alle spielen müssen.«
Einer der Diener kam mit einem Silbertablett vorbei. Mark hatte keinen Hunger, aber Snutworth nahm sich ein paar Appetithäppchen herunter, schob sie sich in den Mund und kaute unauffällig. Mark dagegen war zu sehr mit dem Grüppchen beschäftigt, das sich soeben um Lord Ruthven geschart hatte.
»Wer sind diese Leute?«,
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