Die Stadt der verkauften Traeume
er für diesen drückenden Sommerabend viel zu warm war – zumal über dem gestärkten Hemd und der bestickten Weste. Er zupfte vergeblich an der Krawatte um seinen Hals, die es darauf abgesehen zu haben schien, ihn zu erwürgen. Der Dreispitz saß einigermaßen fest auf seinem Kopf, aber er freute sich nicht gerade darauf, ihn den ganzen Abend zurechtzurücken, wenn er dann unweigerlich doch verrutschte. Er war nur froh, dass er sein Haar stets kurz trug, obwohl die meisten Männer es der Mode entsprechend lang und mit einem dunklem Band zurückgebunden trugen, so wie auch Laud zu wichtigen Anlässen. Mark hingegen wollte nicht, dass ihm die Fransen ständig in die Augen hingen. Wenigstens war die Maske eine einfache weiße Augenmaske – er hatte befürchtet, dass er bis Mitternacht jede Menge Pailletten und Federn auf der Nase balancieren müsste. Trotzdem, dachte er, als er sich im vorgehaltenen Spiegel betrachtete, war er wahrlich nicht mit jedem Dahergelaufenen zu verwechseln.
Gloria tauchte auf, glättete winzige Falten und schnippte unsichtbare Flusen von seinen Ärmeln. Seit Mark sie und ihren Bruder als seine Öffentlichkeitsarbeiter eingestellt hatte, schien sie ihn geradezu adoptiert zu haben. Laud hatte erwähnt, dass sie sich um ihn und seine Schwester, Benedikta, gekümmert habe, als sie noch klein waren, und Mark hatte sich mit Sicherheit nie mehr wie ein Kind gefühlt, als wenn Gloria um ihn herumflatterte. Heute Abend wirkte sie zappeliger als sonst, obwohl andere Leute das wohl kaum bemerkt hätten. Es war nur der Tatsache zu verdanken, dass sie seit Monaten um ihn herum war, dass er die verräterischen Zeichen erkannte: das angespannte Zupfen an den Ärmeln ihres gebrauchten Kleides, das nervöse Flackern der Augen.
»Sind die Gäste schon da, Gloria?«, fragte Mark und verbannte alle Nervosität aus seiner Stimme. Das gelang ihm in der letzten Zeit immer besser. Es war auch mehr als notwendig.
»Die meisten, Mr Mark«, sagte Gloria und spähte durch einen Spalt in der Zeltplane. »Die allerwichtigsten fehlen aber noch. Denken Sie daran, Laud war der Meinung …«
»Ich solle nicht auftreten, bis ich von den besten Leuten gesehen werde, ja, Gloria, ich denke daran.« Mark drehte an einem seesternförmigen Knopf an seinem Ärmel. »Lassen Sie mich mal sehen.«
»Natürlich, Sir.« Gloria trat zur Seite, und Mark legte ein Auge an den Spalt.
Durch den Spalt schaute er hinaus auf einen bestimmten Teil von Agora, ein Ausblick, der ihm immer noch den Atem verschlug. Vor ihm erstreckten sich die Gärten des Löwe-Bezirks: zierliche Baumreihen und Blumen, kunstvolle Spaliere und elegante Skulpturen. Dahinter, unterhalb der grauen Masse der Stadtmauern, lagen schmale Felder voll Weizen und Mais, die in der Spätsommerhitze reiften. Man nannte den Löwe-Bezirk die Seele von Agora, und Mark hatte den schönsten Garten gepachtet, inmitten des Viertels, um hier seinen Ball zu veranstalten.
Es war nicht gerade billig gewesen. Mark erinnerte sich noch gut daran, wie er innerlich zusammengezuckt war, als er den Vertrag mit dem Gartenbesitzer abgeschlossen hatte. Aber wie Snutworth gesagt hatte, war es eine Investition, die sich lohnte. Eine bessere Investition als das Jackett, dachte Mark, als er spürte, wie die Ärmel wieder an den Armen hinaufrutschten. Seine Schneider gehörten zu den besten der Stadt, doch sie waren nicht daran gewöhnt, Kleider zu machen, in die ihre Kunden hineinwuchsen.
In der Ferne hörte er, wie Laudate die Gäste ankündigte. Sein für gewöhnlich zynischer Tonfall war in feierliche, respektvolle Förmlichkeit gehüllt. Es war schwierig gewesen, sowohl Gloria als auch Laud für den Abend zu engagieren. Mittlerweile verbrachten sie einen Großteil ihrer Zeit damit, für das Almosenhaus zu arbeiten. Mark seufzte, als dieser Gedanke ihn wieder einmal daran erinnerte, dass ein weiterer Monat vergangen war, ohne dass er es geschafft hatte, Lily zu besuchen. Es gab derart viel zu tun, dass ihm sogar kaum Zeit blieb, Briefe zu schrieben. Andererseits, sagte er sich, hörte es sich ganz so an, als sei sie sogar noch beschäftigter und hätte wahrscheinlich gar keine Zeit, sich mit ihm zu treffen. Mark fragte sich gerade, ob sie seinen letzten Brief mit der Einladung erhalten hatte, als Laudates Ankündigung seine Aufmerksamkeit erregte.
»Verehrte Damen und Herren, hiermit darf ich den großen Signor Sozinho und seine großartige Frau, die Signora Sozinho, ankündigen, die Engel des
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