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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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müde, dass er im Gehen hätte einschlafen können.
Aber darauf nahmen die drei Männer natürlich keine
Rücksicht.
    Es musste wohl wirklich so gewesen sein, dass er im Gehen
eingeschlafen war, denn das Nächste, was er bewusst wahrnahm,
war, dass er heftig gegen den Rücken seines Vordermannes
prallte und dann noch heftiger zurückstolperte und zu Boden
fiel, als dieser herumfuhr und ihn ohrfeigte.
    Halb benommen stürzte er zu Boden, blieb einen Moment
liegen und rappelte sich dann hastig wieder hoch.
»Pass gefälligst auf, wo du hinläufst, du Tölpel!«, knurrte der
Mann, den er angerempelt hatte, und versetzt ihm einen
unsanften Knuff in die Seite. »Das nächste Mal kommst du nicht
so glimpflich davon!«
Mike war klug genug, nichts zu sagen, aber er spuckte ein
bisschen Blut aus. Ganz so glimpflich kam es ihm gar nicht
vor...
»Lasst ihn in Ruhe«, mischte sich Sarn ein. »Ihr seht doch,
dass der Junge vollkommen erschöpft ist. Wollt ihr ihn als Leiche
bei Argos abliefern?«
Etwas klatschte. Mike sah nicht hin, aber er nahm an, dass
man nun auch Sarn geschlagen hatte, und dieselbe Stimme, die
auch ihn angefahren hatte, sagte in hämischem Ton: »Genau
genommen sollen wir nur dich lebendig abliefern, Verräter. Ich
weiß nur nicht, ob du dich darüber freuen solltest. Weiter jetzt!«
Mike wurde erneut grob vorwärts gestoßen. Nachdem sich das
Dröhnen in seinem Kopf ein wenig gelegt hatte, begriff er, dass er
wohl eine geraume Zeit mehr schlafend als wach hinter den
Männern hergeschlurft sein musste, denn ihre Umgebung
hatte sich stark verändert. Statt durch dichten Wald
marschierten sie nun einen gewundenen, sanft ansteigenden
Weg entlang, zu dessen Seiten sich große, offensichtlich gerade
abgeerntete Felder erstreckten. Hier und da erhoben sich kleine,
aus Fels und Korallenbruch erbaute Hütten und ungefähr eine
halbe Meile vor ihnen endete der Pfad vor einer gut zehn Meter
hohen, bunt bemalten Wand; der Stadtmauer Lemuras, der
Hauptstadt und gleichzeitig aber auch einzigen Stadt des unterirdischen Reiches. Über der Mauerkrone konnte Mike die
Dächer der Häuser erkennen und weit darüber wiederum die
Türme der schimmernden Burg, in denen Argos und die
herrschende Kaste lebten. Er hatte kein sehr gutes Gefühl.
Seine Erinnerungen waren noch immer blockiert, aber allein
beim Klang des Namens Argos lief ihm ein kalter Schauer über
den Rücken. Und er empfand ein starkes Gefühl von Enttäuschung.
Sie passierten das Stadttor, ohne aufgehalten zu werden. Der
Hauptmann hob nur kurz die Hand und winkte einer der
beiden Wachen am Tor zu und sie durften passieren.
Offensichtlich waren sie erwartet worden.
Mike sah sich neugierig um, als sie die Stadt betraten. Lemura
war nicht besonders groß, aber dafür umso einzigartiger. Die
Häuser waren nach den Regeln einer fremdartigen Architektur
erbaut und die Straßen waren schmal. Viele Türen waren mit
kostbaren Schnitzereien verziert und hier und da sah er auch abblätterndes Gold oder gar Edelsteine, die in die Reliefarbeiten
eingelassen waren. Aber er sah auch eine
Menge
Beschädigungen, geborstene Türen, gesplitterte Fensterscheiben
und eingesunkene Dächer, die nie repariert worden waren.
Lemura – jedenfalls der Teil, durch den sie gingen – machte den
Eindruck von verblichener Pracht, und die Menschen, die ihnen
entgegenkamen, passten dazu. Die meisten waren ärmlich
gekleidet und wirkten ausgezehrt und krank und sie bewegten
sich mit gesenkten Köpfen und kleinen, schleppenden Schritten,
als trügen sie eine unsichtbare Last mit sich herum. Mike hatte
das Gefühl sich durch eine Stadt voller Sklaven zu bewegen. Der
Anblick der schimmernden, perlmuttbesetzten Türme
über
ihren Dächern wirkte wie der pure Hohn.
»Sieh dich ruhig um«, sagte Sarn, dem seine Blicke nicht
entgangen waren. »So leben die Menschen in Lemura, damit die
Herrscher ein möglichst angenehmes Leben führen können!«
Mike antwortete nicht, aber der Kommandant sagte: »Ich an
deiner Stelle würde mir überlegen, was ich rede. Argos wird von
solchen Sprüchen nicht begeistert sein.«
»Und?«, fragte Sarn. »Ihr tötet mich doch sowieso!«
»Das ist wahr«, antwortete der Kommandant. »Die Frage ist
nur, ob schnell oder möglichst langsam und qualvoll. Also
schweig jetzt lieber.«
Sarn lachte, folgte dem Rat seines ehemaligen Vorgesetzten
aber trotzdem und schwieg, während sie weiter durch die
schmalen Straßen in Richtung Schloss gingen.
Sie

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