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Die Stadt der Wahrheit

Die Stadt der Wahrheit

Titel: Die Stadt der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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während der nächsten beiden Wochen soll Toby Sperry das glücklichste Kind auf der Welt sein.« Kein Spinnrad würde meiner Aufmerksamkeit entgehen, lautete mein schweigendes, feierliches Gelöbnis. »Machen Sie sich keine Gedanken wegen der Unkosten«, fügte ich hinzu. »Wir lassen alles über meine MasterCred-Karte laufen.«
    Ich stellte mir vor, wie Anthony Raines seine buddhaähnlichen Gesichtszüge zu einem entschlossenen Lächeln anordnete. »Mr. Sperry, H.E.R.Z. ist gerne bereit, Ihnen in jeder in seiner Macht stehenden Weise zu helfen.«
     
    Am nächsten Abend besuchte der Nikolaus das Zentrum für Schöpferisches Wohlbefinden.
    Sein rotes Gewand leuchtete wie glühende Kohle. Der weiße Bart lag auf seiner Brust wie ein gefrorener Wasserfall.
    »Wer bist du denn?« fragte Toby und richtete sich mühevoll zwischen dem Gewirr von Schläuchen auf. Mit jedem neuen Tag schien eine weitere Infusion erforderlich zu werden: Glukose, Meperidin, Salzlösung, Ringers Laktat; die verschiedenen Schläuche wanden sich um ihn wie ein externes Kreislaufsystem. »Kenne ich dich?« Mit einem kühnen Schwung zog er sich die Plastikmaske vom Gesicht, als ob allein schon die Anwesenheit dieses wuchtigen Heiligen seine Lunge irgendwie befreit hätte.
    »Hallo, mein Junge«, sagte der Nikolaus mit einem herzlichen Schmunzeln: es war natürlich Sebastian – Sebastian Arboria –, der dicke, leutselige Schwindler, der die Versammlung in dem Eisenbahnschuppen geleitet hatte; ich hatte Anthony Raines ermächtigt, ihn für zwanzig Dollar in der Stunde zu engagieren. »Du kannst mich Nikolaus nennen, oder Weihnachtsmann, wenn dir das lieber ist. Weißt du was, Toby? Es wird bald Weihnachten sein. Hast du jemals von Weihnachten gehört?«

    »Ich glaube, das haben wir mal in der Schule durchgenommen. Ist das nicht angeblich etwas Blödsinniges?«
    »Blödsinnig?« sagte Sebastian mit gespielter Empörung. »Weihnachten ist das Wundervollste, was es gibt. Wenn ich ein Junge wäre, würde ich Weihnachten ganz toll finden. Ich würde mich mit jeder Faser meines Körpers darauf freuen. Ich wäre so voller Glückseligkeit, daß kein Platz mehr wäre für die Xaviersche Seuche.«
    »Ist Weihnachten eine warme Zeit?« Toby hatte jetzt überhaupt keine Haare mehr. Er war kahl wie ein Ei.
    »Am Abend vor Weihnachten fliege ich in meinem Schlitten über die Erde, besuche jeden Jungen und jedes Mädchen und lasse ihnen sehr schöne Sachen da.«
    »Wirst du auch mich besuchen?«
    »Natürlich werde ich auch dich besuchen. Was wünschst du dir denn zu Weihnachten, Toby?«
    »Du kannst alles bekommen«, warf ich ein. »Nicht wahr, Nikolaus?«
    »Ja, alles«, bestätigte Sebastian.
    »Ich möchte meine Mutter sehen«, sagte Toby.
    Felicia Krakower zuckte zusammen. »Das fällt nicht so ganz in den Zuständigkeitsbereich des Weihnachtsmanns.«
    »Ich möchte nicht mehr frieren.«
    Sebastian sagte: »Ich meine eigentlich… etwas wie Spielzeug. Ich werde dir Spielzeug bringen.«
    »Such dir etwas ganz Besonderes aus«, forderte ich ihn beharrlich auf. »Zum Beispiel dieses Automatikpony, das du dir schon lange wünschst.«
    »Nein, das wünsche ich mir zum Geburtstag«, berichtigte mich Toby.
    »Warum läßt du es dir nicht zu Weihnachten schenken?« schlug Martina vor.
    Toby zog sich seine Raketenreise-Sauerstoffmaske wieder übers Gesicht. »Na gut… ich schätze, ich wünsche mir ein Automatikpony.« Seine Worte prallten an dem glatten grünen Plastik ab.
    Sebastian sagte: »Ein Automatikpony also, ja. Nun – wir werden sehen, was sich machen läßt. Soll es eine bestimmte Art von Automatikpony sein?«
    »Eins für große Kinder.« Tobys Inhalator rumpelte wie ein Auto, das auf platten Reifen fährt. »Vielleicht wirke ich klein, wie ich hier so im Bett liege, aber ich bin in Wirklichkeit sieben. Und könnte es vielleicht braun sein?«
    »Also – ein braunes Automatikpony für einen Siebenjährigen, ja? Ich denke, das kriegen wir hin, und vielleicht gibt’s noch ein paar Überraschungen zusätzlich.«
    Tobys entzücktes Kichern hallte im Innern der Maske wider. »Wie lange muß ich warten?«
    »Es wird so bald Weihnachten sein, daß du die Zeit bis dahin gar nicht mitbekommst«, erklärte ich ihm. »Es sind nur noch ein paar Tage bis dahin, nicht wahr, Nikolaus?«
    »Stimmt.«
    »Wird es mir dann besser gehen?« fragte Toby.
    »Das könnte gut möglich sein, Regenbogenjunge«, sagte Dr. Krakower, während sie an dem Zufuhrregler von Tobys

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