Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
an die Tür. Es ist Will.
»Ich habe die Kutsche deiner Schwester gefunden«, sagt er. »Diebe haben versucht, das Goldblatt an der Seite herauszureißen, deshalb hat einer der Türsteher sie in den Stall gebracht.«
»In den Stall?«, wiederholt Elliott.
»Wo früher die Pferde untergebracht waren …«
»Ich weiß, was ein Stall ist. Ich will mir die Kutsche gleich morgen früh ansehen.«
»Es ist nicht mehr lange bis dahin.« Will sieht mich an, nicht Elliott.
Ich schiebe meinen Stuhl zurück. »Ich muss nach Hause.«
»Es könnte gefährlich werden, jetzt durch die Stadt zu fahren. Wir sollten die Nacht lieber hier verbringen.« Elliott deutet auf sein Schlafzimmer. »Das wäre sicherer.«
»Nein«, sage ich. Weil Will uns zuhört. Weil ich Elliott berührt habe, als er sich die Maske vom Gesicht gerissen hat, und ein zweites Mal, als er wollte, dass ich seine Narben spüre. Und weil er mich so seltsam angesehen hat, als er mir den Drink eingeschenkt hat.
Ich hasse Elliotts gespielte Intimität. Und ich hasse es, dass Will es hört und seine Show für Realität halten könnte.
»Draußen auf den Straßen ist es nicht mehr sicher«, fährt Elliott fort.
»Aber meine Mutter wird sich Sorgen machen«, widerspreche ich. »Ich kann nicht hierbleiben.«
Ich habe gehört, wie er mit meiner Mutter geredet hat. Als wäre sie jemand, der beschützt werden muss. Deshalb wundert es mich nicht, als er sagt: »Tja, in diesem Fall …« Er wendet sich Will zu, der keinen Hehl daraus macht, dass er unser Gespräch verfolgt hat.
»Gab es heute Nacht irgendwelche Vorfälle?«
»Nein, es war alles ruhig«, antwortet Will. Sein Blick fällt auf die Spritze auf dem Tisch. Ich hatte völlig vergessen, dass sie immer noch dort liegt.
Elliott, der seinem Blick gefolgt ist, nimmt sie und steckt sie in seine Tasche. »Wir wollen Mrs Worth doch nicht in Angst versetzen. Genauso wenig wie den ehrenwerten Dr. Worth.« Ein leicht höhnischer Unterton schwingt in seiner Stimme mit, aber da er offenbar bereit ist zu tun, was ich will, schweige ich.
Wir folgen Will hinaus auf den Korridor und die zwei Stockwerke hinunter. Hier und da drücken sich immer noch Gestalten in verschwiegenen Ecken und Nischen herum.
»Der Kutsche deiner Schwester kann hier nichts passieren, und du kannst sie untersuchen«, sagt Will zu Elliott. »Passt gut auf euch auf.«
»Solange sie bei mir ist, kann ihr gar nichts passieren.«
Stumm und erschöpft sehe ich vom einen zum anderen.
»Komm, mein Liebling«, sagt Elliott. Ich werde rot.
Will ist ungewöhnlich bleich, was seine Tattoos umso deutlicher hervortreten lässt. Er ist so eng mit diesem Club verbunden, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, dass er auch anderswo hingehört. Seine Lippen bewegen sich, doch ich kann nicht verstehen, was er sagt. Ich habe nie gelernt, von den Lippen abzulesen.
Elliott nimmt mich am Arm und führt mich hinaus in die Dunkelheit.
»Früher gab es in einigen Teilen der Stadt Gaslaternen.« Er zündet zwei Lampen an und hängt sie an die Haken vorn an der Dampfkutsche. Sie spenden zwar nicht allzu viel Licht, trotzdem sind sie besser als gar nichts. Der Vollmond erhellt die Umgebung bei Weitem nicht so gut, wie man annehmen würde. Es ist fast, als schluckten die Gebäude rings um uns herum sein Licht.
Als wir den Debauchery District verlassen, wird die Dunkelheit für einige Momente vom Schein von Taschenlampen erhellt. Aus dem Augenwinkel sehe ich dunkle Gestalten auftauchen und wieder verschwinden. Elliotts Blick folgt ihnen durch die Düsternis. Ich hole zischend Luft und zeige auf sie, doch sie bewegen sich schnell und sind im Nu wieder verschwunden.
»Malcontents Männer.« Elliott fährt ganz langsam, als traue er dem Frieden nicht.
Der Vollmond taucht die Straßen in unheimliche Schatten. Und dann, für einen kurzen Moment, wird es stockdunkel um uns. Etwas hat sich vor den Mond geschoben. Ich muss an Henrys Spielzeug denken, das Luftschiff, doch als ich nach oben sehe, erkenne ich nur Wolken am Himmel.
Elliott betätigt einen Hebel, worauf die Dampfkutsche abrupt nach vorn katapultiert wird. »Solltest du jemals ein gutes Versteck brauchen – überall in der Stadt gibt es Eingänge zu den Katakomben. Sie sehen zwar wie Kanaldeckel aus, aber sie sind mit dem Augen-Symbol gekennzeichnet.«
»Und diese Katakomben sind auch in deinem Buch erwähnt«, folgere ich.
Er nickt eilig. »Viele der unterirdischen Wege sind zwar genauso zerfallen wie die
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