Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
hier jederzeit wieder hinausspazieren.«
Seine Antworten klingen alles andere als beruhigend. Aber wahrscheinlich will er auch gar nicht, dass ich beruhigt bin.
Er führt mich den Flur entlang und zwei Treppen hinauf in einen weiteren, von antiken Kanonen gesäumten Flur. »Mein Onkel sammelt Kuriositäten.«
Wir gelangen zum Ende des Korridors und gehen eine Wendeltreppe hinauf in den Turm.
»Hier sind die wirklich wichtigen Gefangenen untergebracht. Einer der Räume steht immer für April bereit.« Wir erklimmen eine weitere Treppe. Elliott räuspert sich. »Und einer für mich und unsere Mutter. Zumindest würde er April hier einsperren, wenn die Leute wissen sollten, dass sie hier ist. Ansonsten würde er sie in den Kerker werfen.«
Bis auf ein Bett und einen Tisch ist das Zimmer leer.
»Du warst absolut sicher, dass er sie entführt hat«, sage ich und versuche vergeblich, meine Stimme nicht vorwurfsvoll klingen zu lassen.
Er lässt sich gegen die Wand sinken und birgt das Gesicht in den Händen.
Finn und ich hätten das bestimmt besser hinbekommen. Ich hätte ihn nicht verloren, niemals.
Aber genau das ist doch passiert. Ich habe ihn verloren. Zuerst an die Krankheit und am Ende an den Tod. An den Tod durch Mord.
Elliott geht mit geballten Fäusten vor dem vergitterten Fenster auf und ab, berührt hier und da etwas, eine Schmuckschatulle für Kinder. Eine Puppe.
»Staub. Er hat diese Zimmer nicht für sie vorbereitet, sondern hat sie genauso gelassen, wie sie waren.« Er scheint erleichtert zu sein. Dann seufzt er.
Auf der anderen Seite des Raums befindet sich eine Tür, die in derselben Farbe gestrichen ist wie die Wand. »Was ist hinter dieser Tür?«, frage ich.
»Nichts.«
Ich sehe, dass er die Hand nach mir ausstreckt, doch ich habe die Tür bereits geöffnet. Das angrenzende Zimmer sieht fast genauso aus wie das erste, nur dass hier die Wände mit dicken Strukturtapeten ausgestattet sind – genau solche, wie meine Mutter sie in unserer Wohnung in den Akkadian Towers hätte anbringen lassen, hätte Vater sich nicht dagegen gesträubt. Ich sehe ein Bett, einen Tisch und einen Kleiderschrank. Unter dem einzigen Fenster im Raum steht ein Klavier.
»Araby?« Elliott legt mir die Hände auf die Schulter. »Du hast recht. Wir sollten gehen.«
Das Klavier ist wunderschön. Ich trete vor, um mit den Fingern über die lackierte Oberfläche zu streichen und eine der Elfenbeintasten zu drücken. Eine Partitur liegt noch aufgeschlagen auf dem Nachttisch.
Jemand klopft leise an die Tür. Elliott dreht sich mit einer Anmut herum, die ich nur bewundern kann. Ein Wachmann erscheint im Türrahmen und salutiert vor ihm.
»Sir, Miss Worth ist es nicht gestattet, den Turm zu betreten.« Der Wachmann scheint sich außerordentlich unwohl zu fühlen.
Ich trete vor den Schrank und öffne ihn. Züchtige Kleider hängen dicht an dicht, kein einziges davon in Rot.
»Meine Mutter war hier«, sage ich leise.
»Du musst geahnt haben …«
»Nein.« Aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Vater, der Tag und Nacht gearbeitet hat. Mutters ständige Nervosität.
Das Fenster ist ebenfalls vergittert. Die Tür ist schwer und mit mehreren Schlössern versehen. Mutter wurde hier als Geisel gehalten. Mit dem Finger fahre ich die Umrisse eines Schmetterlings auf der Tapete nach. Er hat sie hier oben eingesperrt, inmitten von Schmetterlingen. Und ich habe ihr schrecklich unrecht getan.
Eine zweite Wache erscheint. Die drei Männer sehen einander an. Die zweite Wache salutiert nicht, sondern starrt uns nur wütend an.
»Ich muss die junge Dame von hier wegbringen«, erklärt er. »Befehl des Prinzen.«
Elliott tritt einen Schritt vor. Der Brillant an meinem Finger blitzt auf, als ich ihm die Hand auf den Arm lege, um ihn zurückzuhalten. Ich lasse meine Hände zu seinen Schultern wandern und spüre, wie seine Anspannung nachlässt.
»Wir hätten gern ein paar Minuten für uns«, sagt Elliott mit einem vielsagenden Blick auf das Bett.
Ich schnappe nach Luft, lasse ihn aber gewähren. Seine Hand liegt in meinem Nacken.
»Sir.« Der erste Wachmann ist sichtlich nervös.
»Ist schon gut, Elliott, wir haben ja unser eigenes Zimmer.« Ich schiebe ihn in Richtung Tür.
Der Wachmann hinter uns lacht, während der nervöse den Blick abwendet. Ich bin ganz sicher, dass er zu Elliotts Leuten gehört.
In einer fließenden Bewegung lässt Elliott seinen Daumen von meinem Haaransatz zu meiner Schulter gleiten. Ich spüre, wie ich
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