Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
immerhin einen Bruder und weiß genau, wie es geht. Wir landen auf dem auf Hochglanz polierten Holzdeck. Ich schnappe meine Maske und setze sie wieder auf.
Elliott betastet vorsichtig die Stelle, wo ich ihn getroffen habe. Wir sind beide völlig außer Atem. Seine Maske liegt neben ihm auf dem Deck. Ich hebe sie auf und reiche sie ihm.
Wieder ertönt eine Gewehrsalve vom Bug des Schiffs, doch statt das Schauspiel am Ufer zu verfolgen, beugt der Prinz sich über die Reling des Decks über uns und sieht herab.
Elliott packt mich und zerrt mich in einen der Lagerräume unter Deck.
»Tut mir leid«, sagt er leise. Ich sehe, dass er immer noch zittert. Er versteckt sich hinter seiner Maske, will mich glauben machen, die Intensität der Gefühle, die er soeben vor mir offenbart hat, sei nur gespielt gewesen. Er mimt den Lässigen, den nichts erschüttert. Aber ich weiß, dass es nur Fassade ist.
Befriedigt bemerke ich, dass sich die Haut unter seinem Auge bereits violett zu verfärben beginnt. Er zieht die silberne Spritze aus seiner Tasche, bereit, mir einen weiteren Ausflug ins Land des Vergessens zu schenken. Er wirkt zerknirscht, am Boden zerstört. Aber trotzdem hat er mich so eben über einen von Krokodilen verseuchten Fluss gehalten.
Ich betrachte die Spritze und spüre, wie mich ein ungewohntes Gefühl der Stärke durchströmt. »Ich brauche das nicht.«
»Wirklich?«
»Steck sie wieder ein.«
Später informiert uns ein Dienstbote, dass wir in der geschlossenen Kutsche des Prinzen ins Schloss zurückfahren werden.
Kaum hat Prospero seinen Platz eingenommen, fragt Elliott: »Wo ist meine Schwester?«
»Ist das der einzige Grund, weshalb du hergekommen bist? Weil du dachtest, April sei ebenfalls … zu Besuch hier? Du kränkst mich, Neffe.«
»Du hast mich vor zwei Wochen gebeten, dafür zu sorgen, dass sie endlich aufhört, sich so danebenzubenehmen. Aber bevor ich etwas unternehmen konnte, war sie verschwunden.«
»Und du glaubst, dass ich etwas damit zu tun habe?«, fragt der Prinz mit einem dünnen Lächeln.
Elliott antwortet nicht.
Ich bemühe mich, ruhig und mit scheinbar unbeteiligter Miene dazusitzen. Der Prinz darf nicht merken, wie sehr ich ihn verabscheue. Das wäre eine Katastrophe. Die Stille in der Kutsche ist unerträglich.
»Deine Schwester ist nicht hier. Solltest du herausfinden, wo sie sich aufhält, wirst du unverzüglich einen Kurier zu mir schicken. Auch wenn du das vielleicht anders sehen magst, aber alles, was ich getan habe, ist nur geschehen, um dich und deine Schwester stärker zu machen.«
Obwohl ich keinen Mucks von mir gebe, richtet der Prinz seine Aufmerksamkeit nun auf mich. Er mustert mich von Kopf bis Fuß, und ich frage mich, ob ich ihn wohl an meine Mutter erinnere. »Ich werde Männer in die Stadt schicken, um Erkundigungen über Aprils Verbleib einzuholen. Wärt ihr damit zufrieden?« Sein Blick richtet sich wieder auf Elliott. »In wenigen Tagen wirst du das Kommando auf meinem Dampfschiff übernehmen. Es ist dein Projekt. Deine große Entdeckungsreise. Die Tochter des Wissenschaftlers kann dich ja begleiten. Und solange du fort bist, werden wir ihre Eltern hierher in den Palast holen, damit sie nicht so einsam sind, während ihr einziges noch lebendes Kind nicht bei ihnen sein kann.«
Bei dem Wort lebend hält er kurz inne. Es ist alles seine Schuld, doch erst jetzt wird mir die Tragweite seiner Taten bewusst. Er ist schuld, dass Mutter von Finn während seines letztes Lebensjahres getrennt sein musste. All die vielen Momente, die sie miteinander hätten verbringen können. All die Menschen, denen Prospero wehgetan hat.
»Dr. Worth sagt, in einem mittelalterlichen Schloss leben zu müssen, beraube ihn seiner Kreativität«, wendet Elliott ein. »Tu ihm das nicht an.«
»Wieso nicht? Versuchst du etwa, das Mädchen dazu zu bringen, dass sie dir vertraut? Erzähl ihr, wie ich dich gezwungen habe, deine kleinen rosa Zehen ins Wasser mit all den Krokodilen zu halten, als du noch ein kleiner Junge warst. Vielleicht hat sie ja Mitleid mit dir.«
Der Prinz lacht glucksend. Hätte ich eine Waffe bei mir, würde ich ihn ermorden, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Du bist ja ganz blass, meine Kleine«, bemerkt der Prinz. »Hier, ich habe etwas für dich, das dich wieder auf die Beine bringen wird.« Er gießt Weißwein in einen angelaufenen silbernen Becher.
Der Wein brennt in meiner Kehle, trotzdem bleibt mir nichts anderes übrig, als den Becher vor seinen Augen
Weitere Kostenlose Bücher