Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
dadurch weniger bedrohlich. »Werden sie genügen?«
»Nichts wird jemals genügen. Aber ich habe alles niedergeschrieben, was ich weiß.«
»Auch die Information, die meinen Onkel dazu bewogen hat, seinen Männern zu befehlen, Sie zu erschießen, sobald sie Sie sehen?«
Vater lacht. »Dies ist wohl nicht der richtige Augenblick für Schuldzuweisungen, finden Sie nicht auch?«
Elliott starrt Vater eindringlich an. »Für Araby nicht«, sagt er. »Haben Sie je darüber nachgedacht …«
In diesem Augenblick zischt eine Kugel an meinem Gesicht vorbei und schlägt in die Ziegelmauer des Forschungsgebäudes ein. Roter Staub wirbelt auf. Ich unterdrücke einen Schrei. Elliotts Züge verzerren sich. Er fährt herum, und Vater beginnt zu laufen. Reflexartig greife ich nach seinem Mantelschoß.
»Vater, ich …«
»Soldaten«, sagt Elliott. »Sie sind uns gefolgt.«
»Sie werden mich töten«, sagt Vater nur und sieht mich an. Bevor ich loslassen kann, entreißt er mir seinen Mantel. Ich gerate ins Straucheln und taumle gegen Elliott. Sekunden später sind wir von Soldaten umringt, die mit ihren Musketen auf Vater zielen.
»Nein!« Elliott hebt die Hand. Die Soldaten richten ihre Waffen himmelwärts.
»Inzwischen stehen fast alle Soldaten in der Stadt auf meiner Seite«, erklärt er. »Aber es gibt immer noch eine Handvoll, die sich gern bei meinem Onkel eine Belohnung abholen würden.« Elliott wendet sich dem Mann zu, der auf uns geschossen hat.
»Kümmere dich um ihn«, befiehlt Elliott einem anderen Mann, den ich in diesem Moment erkenne. Es ist der, mit dem ich in dem dunklen Flur in den Akkadian Towers gesprochen habe. Es kommt mir vor, als liege dieser Tag eine halbe Ewigkeit zurück.
Er nickt mir knapp zu. »Haben Sie von ihm bekommen, was Sie wollten?«, fragt er.
Elliott zuckt mit den Schultern. »Vorläufig. Ihr müsst für einige weitere Tage untertauchen.«
»Natürlich.«
Elliott zieht mich mit sich. »Und du dachtest, ich tue nur so, als würde ich eine Revolte anzetteln?« Seine blonden Brauen reichen beinahe bis zu seinem Haar, das ihm in die Stirn hängt. »Wir sollten jetzt gehen. In meinem Apartment waren zu viele Beweise, deshalb musste ich ein kleines Feuerchen legen. Leider ist es außer Kontrolle geraten.« Er grinst. »Oh, ich habe noch etwas für dich.«
Zwei Geschenke. Eins von Vater, eines von Elliott.
Er reicht mir das Messer. Jenes Messer, mit dem er während seiner Unterredung mit Vater herumgespielt hat. Es hat einen Elfenbeingriff. »Versteck es in deinem Stiefel oder unter deinem Rock.« Seine Augen wandern über meinen Körper. »Auch wenn nicht mehr viel davon übrig ist.«
Ich nehme das Messer und halte es nervös in der Hand.
»Wir sollten wirklich gehen, bevor noch etwas in die Luft fliegt.«
Die Luft ist schwer und drückend, als würde die Stadt immer weiter auf uns zurücken. Elliott hebt mich in seine Kutsche. Wir müssen hier weg.
»Wieso hasst du meinen Vater eigentlich?«
»Ich hasse ihn gar nicht.« Ich bin nicht sicher, ob er lügt, und ehe ich ihm weitere Fragen stellen kann, biegen wir um eine Ecke, und Elliott muss das Steuer herumreißen, um den schwarzen Karren nicht zu rammen, der mitten auf der Straße steht. Ein dürrer Arm, weiß und schlaff, hängt über die Seitenwand.
»Wo sind die …«, frage ich, als ich einen der Leichensammler auf der Straße liegen sehe. Er ist tot. Sein Gesicht ist blutüberströmt.
»Der andere ist wahrscheinlich auch tot.« Elliotts Stimme klingt ruhig, doch seine Hände sagen etwas anderes. »Immer mehr Leute sterben. So wie früher. Aber wenn wir jetzt aufbrechen, bleiben wir vielleicht am Leben, und die Rückkehr, die ich geplant habe, wird eine große Überraschung für meinen Onkel sein.«
Aber wer wird dafür sorgen, dass Will und die Kinder am Leben bleiben?
Wir fahren an dem Leichenkarren vorbei, und ich rechne damit, den Körper des zweiten Leichensammlers zu sehen. Doch stattdessen sehe ich ein Mädchen im verwaisten Eingang eines Hauses liegen.
»Sieh lieber nicht hin«, sagt Elliott, dessen Gesicht eine ungesunde grünliche Farbe angenommen hat.
Sie liegt halb im Eingang, halb auf der Straße, und ihre Röcke, ebenso verschmutzt und zerschlissen wie meine, sind bis zu ihrer Taille hochgeschoben.
Ich schlucke und wende den Blick ab.
Elliott gibt Gas und rast durch die Straßen zum Debauchery Club. Er bremst abrupt, sodass ich mit dem Kopf gegen die Seitenwand der Kutsche stoße. Vorsichtig betaste
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