Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
mussten ihr Leben lassen. Sie hatte ein angenehmeres Leben als die meisten anderen. Aber ihre Angst ist aufrichtig, das spüre ich. Sie ist meine engste Freundin. Ich lege die Arme um sie.
»Ich will auch nicht sterben«, sage ich leise.
Sie erwidert die Umarmung.
Wir stehen eine ganze Weile so da und halten uns in den Armen. Meine Wange liegt an ihrer Schulter. Am liebsten würde ich ihr alles erzählen – alles über Will, alles über meine Eltern.
»Als wir uns das erste Mal begegnet sind, wolltest du vom Dach springen.«
»Ich habe darüber nachgedacht.«
»Und ich habe dich gerettet.«
Sie hat recht.
»Hätte ich eine Schwester, müsste sie so sein wie du.«
Ich sollte ihr die Hälfte der Substanz in dem Fläschchen von meinem Vater geben. Sie sieht in den Spiegel und lacht leise.
»Tut mir leid, ich wollte mich nicht so peinlich benehmen.«
Ich räuspere mich. Aber ich habe zu lange gewartet. Sie löst sich von mir. Ich taste in der Manteltasche nach dem Fläschchen.
In derselben Sekunde wenden wir uns einander wieder zu.
»April …«
»Dieses Kleid bringt deine grünen Augen perfekt zur Geltung.«
Meine Augen sind gar nicht grün. Sie zeigt auf ein zerschlissenes dunkelgrünes Kleid.
»Onkel Prospero wird es schrecklich finden, aber du wirst toll darin aussehen.«
Inzwischen bin ich genauso verlegen wie sie und habe keine Ahnung, wie ich das Fläschchen erklären soll. Also sage ich nur »Danke«, obwohl nicht ganz klar ist, wofür.
»Ich werde auch auf die Reise mitkommen«, sagt sie. »Der Prinz will zwar, dass ich hierbleibe, aber das werde ich nicht tun.«
»Wir gehen gemeinsam.«
Sie umarmt mich. Wir haben uns heute Abend häufiger in den Armen gelegen als in der gesamten Zeit, seit wir uns kennen.
April geht zur Tür und schließt sie auf. Zwei Wachen warten auf dem Flur auf sie. Sekunden später höre ich, wie der Riegel wieder vorgeschoben wird.
»Tut mir leid«, ruft sie durch die geschlossene Tür, »aber Elliott will, dass du eingeschlossen bleibst. Zu deiner eigenen Sicherheit.«
Ich knirsche mit den Zähnen und bin froh, dass ich ihr die Hälfte der kostbaren Flüssigkeit doch nicht gegeben habe.
Wie können sie es wagen, mich hier einzusperren?
Ich rutsche auf meinem Stuhl vor und stütze mein Gesicht auf den Händen ab, sorgsam darauf bedacht, mein Make-up und meine Frisur nicht zu ruinieren.
Ich sollte mir etwas zu trinken holen, vielleicht ein Glas Wasser, bevor ich in das grüne Kleid schlüpfe, aber als ich aufstehe und zur Waschschüssel treten will, packt mich jemand von hinten und legt mir eine Hand auf den Mund, damit ich nicht schreien kann.
Z WEIUNDZWANZIG
I ch wehre mich nicht. Seine Hand liegt so locker auf meinem Mund, dass ich ihn mühelos beißen könnte. Aber ich tue es nicht.
»Du wirst nicht schreien?« Ich spüre seinen Atem an meinem Haar.
Ich schüttle den Kopf. Er lässt mich los.
Will trägt dieselben Sachen wie heute Morgen. Sein Haar ist noch zerzauster, seine Miene ausdruckslos.
Unwillkürlich denke ich an die Druckerpresse im Keller. Es wäre die reinste Ironie, wenn ausgerechnet er die Flugblätter drucken würde, auf denen die Reichen verunglimpft werden. Aber das Ganze ist alles andere als witzig, denn wenn er die Reichen so sehr hasst, wo bleibt dann unsere … Freundschaft?
»Ich weiß, dass du mit ihm gehen wirst. Ich will es dir auch gar nicht ausreden, aber uns bleibt noch etwas Zeit bis zum Ablegen. Komm mit. Nur für ein paar Minuten.«
Ich sollte hierbleiben. Aber Elliott hat mich hier eingesperrt.
»Wenn ich es geschafft habe, in dieses Zimmer zu gelangen, schaffen andere es auch.« Er wirft einen vielsagenden Blick in Richtung Zimmerdecke. Er hat recht – die alten Männer dort oben sind ganz und gar nicht begeistert von Elliott. »Du bist sicherer, wenn du bei mir bleibst.«
Er nimmt mich an der Hand und zieht mich zur Tür.
»Halt«, sage ich. Er bleibt stehen, auch wenn ich ihm ansehe, dass es ihm schwerfällt. Jeder Muskel in seinem Körper ist angespannt. »Ich habe unter diesem Mantel … nichts an.« Es gelingt mir nicht, den Ausdruck auf seinem Gesicht zu interpretieren. »Elliott hat mein Kleid mit seinem Säbel zerschnitten«, füge ich stotternd hinzu.
Er runzelt die Stirn, sagt jedoch nichts.
Ich nehme das grüne Kleid vom Bett, hänge mir den Mantel um und schlüpfe darunter in das Kleid. Schließlich streife ich mir den Mantel von den Schultern und beginne am Mieder herumzuhantieren.
»Ich helfe
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