Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
aber nach dem Tod meiner Großmutter Jelica gab es dort nichts Freudiges mehr, ich hatte also keinen Grund und auch nicht den Wunsch, jenes Haus jemals wieder aufzusuchen, obwohl mich alles anregt und heiter stimmt, alles, das auf irgendeine Art verlassen ist, alles, was von Unkraut überwuchert, zerstört und unbegehbar ist. Alle erzählen mir, dass meine heimatliche Gegend jetzt einer Einöde gleicht, aber doch scheint dort noch immer der Mond und die Grillen zirpen vor sich hin.
Jene zwei Jahre, die ich mit meinen Eltern in N. verbrachte, sind in meiner Erinnerung als die schrecklichsten Jahre meines Lebens abgespeichert; damals habe ich in der kurzen Zeit viele Gesetzesüberschreitungen und Dummheiten begangen, zu denen man aus der Perspektive eines normalen Verstandes nichts weiter sagen kann; Schlägereien gehörten dazu, die man mit nichts rechtfertigen konnte – einen alten Mann habe ich sogar mal grundlos verprügelt, was ich mir bis heute nicht vergeben kann. Es ist bitter, das getan zu haben, und das Bild dieses Menschen plagt mich noch immer, manchmal träume ich davon. In der Schule wurde ich sehr schlecht, man drohte mir mit der Überweisung in ein Heim für schwer erziehbare Jugendliche, die schriftlichen Hausaufgaben in Literatur machte ich einfach nicht mehr, brachte mit meinen vulgären Gedichten die ganze Gattung in Verruf, weil ich ein stümperhafter Versemacher der untersten Kategorie geworden war. Die Elternabende mied mein Vater, Mutter saß dort unter den anderen Eltern alleine und beschämt die Zeit ab und hörte sich die Rügen meiner Lehrer an. Einer von ihnen versuchte zu beweisen, dass ich geistesgestört bin, und meine arme Mutter versuchte wiederum, mich zu verteidigen, indem sie alle Schuld auf die Stadt schob, was natürlich ihre verzweifelte Projektion war. Man brachte sie schnell zum Schweigen und zählte berühmte Namen aus Kultur, Wissenschaft und Sport auf, die »diese Stadt hervorgebracht hatte«. Man erwähnte Volkshelden aus der Vergangenheit, Politiker, Herrscher und Titelträger Venetiens.
Für das, was ich gleich nach unserer Ankunft in N. getan habe, während meine Mutter mit dem Neugeborenen beschäftigt war, kann ich niemandem die Schuld in die Schuhe schieben, auch der Stadt nicht, sie konnte mich nicht über Nacht mit dem Bösen anstecken, es war einfach da, blitzte in mir auf, nicht nur das Böse, sondern auch die Unehrlichkeit, die Gier, der Verlust von Mitgefühl und Verantwortung – denn ich habe ohne irgendeinen Einfluss von außen meine eigene Mutter bestohlen, vielleicht bin ich sogar daran schuld, dass das Baby dann vor der Zeit keine Milch mehr bekam; noch heute bereue ich das Geschehene und würde alles tun, um es nur vergessen zu können. Was habe ich getan? Wir waren noch neu in der Stadt, Ankömmlinge, ich trat vor meine Mutter wie ein Schurke, während sie dem Baby die Brust gab, und erzählte ihr einfach, dass ich das Goldarmband der Nonne Marija geschenkt hatte; in Wirklichkeit hatte ich es einem durchreisenden Handelsvertreter verkauft, das ganze kleine Vermögen hatte ich mit den Schlägern aus meiner Schule verprasst, damit ich endlich in ihrer Gunst stand, es hieß jetzt, ich sei ein Kavalier und Freund. Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld das eigentlich war, aber ich erinnere mich daran, dass die Summe, die der Händler mir ohne zu feilschen gab, ein ansehnlicher Berg Scheine war; zwei Tage lang fraßen wir uns die Bäuche in einem Wirtshaus am Rande der Stadt voll, kauften Zigaretten, tranken Hochprozentiges, schafften uns Messer und Lederhandschuhe an, die mit Metalleinsätzen geschmückt waren. Und während ich mit Schrecken Mutters Zorn wegen meines unverständlichen Verhaltens erwartete, dachte ich, sie würde sagen, dass man nichts verschenke, was für die allerletzte Reserve und für bittere Zeiten aufgehoben worden war, auch nicht an Schwester Marija. Aber sie sah mich nur zärtlich und liebevoll an und sagte: »Das hast du gut gemacht, dieses Armband hätte uns ohnehin nicht aus der Armut retten können. Die Nonne hat das mehr verdient als wir.«
Es wäre sicher leichter zu ertragen gewesen, wenn Mutter mich beschimpft und einen Nichtsnutz genannt hätte, der auch das wenige verschleuderte, was wir in diesen kargen Zeiten besaßen, sie hätte mich damit erlöst, der Diebstahl wäre leichter zu ertragen gewesen. Aber meine Mutter war nicht engherzig das hatte ich jedoch auch schon vorher gewusst. Und während ich als Lügner und Dieb
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