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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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besonders glücklich, wenn ich jemandem etwas schenken konnte. Wenn Menschen in Schwierigkeiten geraten, fällt es ihnen schwer, sich von Dingen zu lösen, die man ihnen geschenkt hat, und wenn sie sich dann doch dazu entschließen, kann man davon ausgehen, dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Und genauso stand es am Ende um mich. Die Redaktion des Belgrader Reiseführers warf mich hinaus, ich war blamiert, meine Mitarbeit war von heute auf morgen beendet. Der Grund dafür war ein falsches Wort. Ich hatte es benutzt, als ich über die Massenerschießung von Kragujevac und die Schüler-Erschießungen aus dem Zweiten Weltkrieg schrieb. Endlich gab es eine Verfilmung über das 1941 von den Deutschen verübte Verbrechen, das ich tragisch und grotesk genannt hatte. Der Redakteur trieb mich schreiend die Stufen hinunter, während er mich eine »Groteske und eine Missgeburt« nannte. Obwohl ich ungefähr wusste, dass eine Groteske in der Theorie etwas bezeichnet, das alle Grenzen des Möglichen und Vorstellbaren sprengt, habe ich das Wort falsch verwendet, dieser Begriff lässt sich schwerlich für eine solche Tragödie benutzen. Es war mein Fehler, ich hatte das Nachsehen. Von diesem Zeitpunkt an habe ich jedes Wort nachgeschlagen und habe seitdem nie wieder einen Text ohne ein Wörterbuch geschrieben. Die Blamage war das eine, meine Geldnot das andere. Und als ich dabei war, die goldene Uhr, das Geschenk meiner Tante, zu verscherbeln, wurde ich auch noch verhaftet und zur Wache gebracht, wo man mich ein bis zwei Stunden befragte. Zwei jüngere Beamte aus der regionalen Kriminalabteilung von Novi Sad nahmen mir die goldene Uhr vom Arm, es sei Diebesgut, sagten sie, und einer von ihnen erklärte mir, dass jeder, der gestohlene Ware verkaufe, auch dafür geradestehen müsse. Er begann jeden seiner Sätze mit den Worten »Als Vertreter des Rechts muss ich Ihnen …« Es hieß, dass solche Verkäufer die Diebe in ihren Handlungen unterstützten, und obwohl sie wussten, dass meine Tante mir diese Uhr geschenkt hatte und ich also unschuldig war, kümmerten sie sich nicht weiter darum. Man sagte mir, meine Tante stehe unter Verdacht, mehrere kriminelle Vergehen zu verantworten, es laufe schon ein Verfahren gegen sie. Auch ich musste eine Aussage machen, Druck übte man aber keinen auf mich aus, ich sollte einfach nur das erzählen, was mir bekannt war. Da ich ein Zeuge und auch der Neffe war, bekam ich die ganze Akte ausgehändigt, Kopien der Untersuchungsergebnisse lagen darin, weitere Zeugenaussagen, Zeitungsausschnitte, eine Skizze der Anklageschrift, Fotografien von meiner Tante, eine vom Profil und eine von vorne, die man im Untersuchungsgefängnis gemacht hatte, wo sie zusammen mit ihrem Mann seit ein paar Monaten einsaß. In diesem Moment tat es mir für die beiden armseligen Dummköpfe ernsthaft leid, folgte doch in ihrer Ehe ein Unglück aufs andere. Als ich die Anklageschrift durchgelesen hatte, war ich erschüttert, denn ich fand bei dieser Gelegenheit heraus, dass sich Jung und Alt im Dorf gegen sie aufgelehnt hatten und sie nur dank eines Milizeinsatzes knapp der Lynchjustiz entkommen waren. Wenn sie im Mittelalter gelebt hätten, wäre meiner Tante ein Feuertod sicher gewesen.
    Sowohl die Morgen- als auch die Abendzeitungen schrieben alle in der Rubrik »Kleinkriminalität« über meine Tante Pava. Als ich las, dass man ihr wenigstens die Ermordung von Kindern nicht zur Last legen konnte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Aber es gab ein paar Petitionen, Unterschriften von Leuten, die sich als geschädigte Bürger beschrieben oder im Namen ihrer verunglückten Verwandten sprachen, deren Todesursachen nie geklärt worden waren. Sie verlangten von den Behörden, dass sie mit Umsicht das »verfluchte Haus« untersuchen und den Garten umgraben sollten. Dort würden sie mit Sicherheit die Gebeine der vermissten Ermordeten finden. Aber dazu ist es nie gekommen. Damit aber die Gerüchteküche ein Ende nahm, ließ die Kriminalabteilung verlautbaren, dass es sich bei dieser Angelegenheit nicht um abgründige Verbrechen handele, sondern dass die Verdächtige einfach eine Kleinkriminelle im herkömmlichen Sinne und möglicherweise eine »kranke Person« sei. Die Zeitungen nannten sie eine »betagte Einbrecherin«, die nun mit ihren raffinierten Beutezügen aufgeflogen sei. Es war die Rede von ihrer umtriebigen List und Bereicherungswut, ihrer trickreichen Blendungsfähigkeit, mit der sie die Städter wie eine Kuh zu melken

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