Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
gewusst habe. Es wurde aufgelistet, welchen Schaden die Diebin angerichtet hatte und was sie jetzt besaß, man wusste nun, welchen Schmuck sie hortete und welche Valuta durch ihre Hände gegangen war. Sie hatte auf dem Schwarzmarkt mit Devisen gehandelt, was wohl ihr ertragreichstes Geschäft gewesen war. Allein in einem ihrer vielen Verstecke fand man vierzehn teure Armbanduhren. Als Heiratsvermittlerin war sie unersättlich, die »Mutter der Liebe« wird von den Leuten natürlich mit barem Gold bezahlt – so hatte sie sich tatsächlich selbst einmal genannt. Zu den maßlos hohen Gebühren, die sie völlig schroff und gnadenlos berechnete, nahm sie auch noch allerlei Geschenke an, bei den Hochzeiten musste sie ganz weit vorne sitzen, schlug sich gleich hinter die wichtigsten Gäste wie den alten Hochzeitspaten, den Schwager und den Trauzeugen. Aber sie begnügte sich nicht etwa mit diesem ehrenvollen Platz, sondern nutzte ihn sogar aus, um die geladenen Hochzeitsgäste zu beklauen. Es hieß, sie habe einer älteren Braut die ganze Mitgift gestohlen, eine Truhe voller Silber, Schmuck, goldenen Kerzenhaltern und Wäsche; sie hatte die Beute förmlich gerochen und sie, von den anderen unbemerkt, wie eine Zauberkünstlerin zur Seite geschafft, sodass unter den Anwesenden von geheimnisvollen Kräften die Rede war, von »bösen Geistern«, die der Diebin gerade recht kamen und auf die sie sich, ihrer Unsichtbarkeit zum Trotz, wie in alten Gebräuchen stürzte, mit einer Peitsche schlug sie auf das Brautpaar ein und sagte: »So fahre dahin, du unreine Seele, verlasse diese reinen christlichen Gemüter, geh dahin, wo deinesgleichen lebt!« Diese bösartige Frau konnte sich einfach alles einverleiben und überraschend viele Rollen spielen. Es gab niemanden, der wie sie die alten Bräuche kannte, darauf gründete sie sogar ihre Autorität, und bei Ansammlungen von Menschen, sei es auf Hochzeiten, Begräbnissen oder Gottesdiensten, machte sie sich alles zunutze, sorgte für Rummel und bereitete ihre Auftritte präzise vor. Und wenn ihr zu Ohren kam, dass die Niederkunft einer Frau bevorstand oder diese mit dem Neugeborenen gerade nach Hause gekommen war, so machte sie sich gleich auf den Weg, ihnen einen Besuch abzustatten, brachte ihre merkwürdigen Gerätschaften mit, die ihr helfen sollten, die Dämonen von dem Kind fernzuhalten. Dafür aber verlangte sie irgendetwas Wertvolles wie einen schönen Gegenstand. Ich selbst kann mich daran erinnern, dass mir Eva einmal gesagt hatte, diese Hexe sei in der Lage, jedem »unter die Haut« zu kriechen.
In der Wochenzeitschrift Regenbogen wurde auf zwei Seiten eine Reportage über den Fall meiner Tante veröffentlicht. Aber ob alles, was darin behauptet wurde, auch überprüft worden war, wage ich zu bezweifeln, denn es hieß, in jenem Haus seien »wüste Orgien« an der Tagesordnung gewesen, es sei mit einem Sonderzimmer ausgestattet gewesen, in das man junge Frauen mit besonderen sexuellen Vorlieben aus den Tiefen der Vojvodina gelockt habe, damit sie mit ihren triebhaften Gelüsten die beiden Eheleute befriedigten. Diese Sprache fand ich schon suspekt, die ausschweifenden Beschreibungen schwer erträglich, es war typisch, dass in allem nur Perversionen, Sex und das Werk einer Sekte vermutet wurde. So etwas war aber unvereinbar mit einem kleinen Banater Dorf, trotzdem war der Reporter einfach entschlossen, alles erdenklich Sündhafte dem besagten Paar in die Schuhe zu schieben, das keineswegs unschuldig war, aber so viele Leichen hatte es nun auch wieder nicht im Keller. Der Reporter produzierte eine Übertreibung nach der anderen und beschrieb die Eheleute als Bewohner einer eigenen Parallelwelt, deren Universum dem unseren völlig entgegenstehe, anders funktioniere als unsere »gesunde und humane Gedankenwelt«. Auf der einen Seite dieses primitiven Modells standen die reinen, fleißigen, freundlichen Familienmenschen und auf der anderen unverrückbar die Herrschaft der Nacht, die Leidenschaft, die Perversion und die Kriminalität. Ich habe selbst als Reporter gearbeitet, ich wusste genau, an welcher Stelle und warum hier übertrieben worden war, nur waren diese beiden kümmerlichen Leute keineswegs vom Himmel gefallene Ungeheuer, in denen sich das Böse dieser Welt versammelt hatte.
Außerdem war es auch unvorstellbar für mich, dass meine unattraktive, verwahrloste und schon in die Jahre gekommene Tante ihren blinden Ehemann betrogen haben soll. Sie habe sich, hieß es,
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