Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Ich hatte keine Zeit mehr, seinen Fang abzuwarten, und verließ den angestrengt kämpfenden Angler samt unsichtbarem Ungetüm, das sich an seinem Haken festgebissen hatte.
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Blago sah meinem Vater sehr ähnlich, und wer auch immer auf die beiden traf, wusste sofort, dass sie Brüder waren. Aber in dieser Ähnlichkeit erkannte man schon auf den ersten Blick auch ihre Verschiedenheit. Mein Onkel hatte keine großen Ohren, seine Nase war nicht so krumm wie die meines Vaters, er war einen Kopf größer als er, seine Haut war nicht allzu dunkel, er hatte schöne Hände und schlanke Finger, so wohlgeformt, als sei für ihn eine Zukunft als Pianist oder Chirurg vorgesehen gewesen. Seine Stimme war sanft und weich, er hatte einen eleganten Gang, mit erhobenem Kopf ging er durch die Stadt, war stets geschmackvoll gekleidet, sogar unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, in Zeiten größter Armut. Er hielt große Stücke auf Freundschaft und war sehr umgänglich, er ahnte aber schon, dass er etwas Weltmännisches in sich trug und dass er Mut brauchen würde, sich auch als Weltbürger zu verhalten. Mein Vater wollte nie freiwillig und schon gar nicht gerne über ihn sprechen. Die Details über sein Aussehen habe ich ohnehin nicht von ihm, sondern von meiner Großmutter Vukava erfahren. Außerdem hatte ich mir schon als Kind immer wieder seine Schulfotografien angesehen, an die zehn Stück gab es, ein paar Gruppenfotos und zwei, drei Porträts für irgendwelche Dokumente waren darunter. Das genügte mir aber natürlich nicht, um ein richtiges Bild von meinem Onkel zu bekommen, deswegen malte ich es in meiner Vorstellung aus, fügte das eine oder andere aus meiner Fantasie hinzu. Von Vater wusste ich, dass Blago ordentlich war, selbstbewusst, für sein Alter vielleicht sogar etwas zu ernsthaft. Als er fortging, sagte er, dass er alles allein schaffen werde, dass er niemanden brauche, dass er auch keine Hilfe in Anspruch nehmen werde. Da er ein guter Schüler war, hätte er durchaus ein Stipendium bekommen können, in jener sich sprunghaft entwickelnden Zeit, in der alles auf das neue Land ausgerichtet war, das Ambitionen an den Tag legte, für die Bildung seiner Kinder sorgen zu wollen. Man hatte sich ganz offiziell auf die Fahnen geschrieben, »kluge Kinder aus guten religiösen Familien« zu unterstützen. Das war die staatliche Formulierung dafür. Blago schlug das Angebot mit den Worten aus, er sei zwar klug und aus einer ganz guten Familie, aber religiös sei er keineswegs.
Für Onkel Blago war Mutters Niederkunft etwas Beschämendes, während sie sich für meinen Vater ganz anders anfühlte. Er gab nichts auf die kleinlichen Dorfgeschichten, denn dieser männliche Nachwuchs kam gerade in jenem Augenblick, da ihr Vater diese Welt verließ. Mein Vater war noch nicht einmal zurückgekehrt, auch wusste man nichts über ihn, da hielt Blago seiner Mutter arrogante moralische Vorträge, ging ihr täglich auf die Nerven, sagte, in diesen Zeiten und in ihrem Alter würden kluge Frauen keine Bälger werfen. Diese barschen Worte fielen tatsächlich aus seinem Mund, er beschuldigte die Mutter offen, und mehrmals ließ er sie sogar unvermittelt seinen direkten Hass spüren. Für einen guten Schüler war dies alles andere als herzlich oder elegant. Er schreckte nicht einmal davor zurück, sie als Nutte und Sünderin zu beschimpfen, drückte sie auch einmal beidhändig an die Wand, sie sollte endlich erzählen, von wem das Kind wirklich sei, und meine arme Großmutter antwortete ihm immer auf die gleiche Weise und sagte: »Es ist der gleiche Vater wie der deine.« Blago passte auch das Neugeborene an sich nicht, er erschreckte seine Mutter mit gespensterhaften Geschichten und erzählte ihr, dass sich in Kindern, die nicht weinen, »das Grauen und das Elend dieser Welt« von allein verdichte. Sie habe sicher einen Mörder oder einen Dämon zur Welt gebracht. Alles, was sie über das Neugeborene gehört hatte, die erschreckenden und bösen Worte eines an sich gebildeten und klugen jungen Mannes, band sie nur noch mehr an das Kind; sie bewachte es und saß stundenlang an seiner Wiege, still, wie jemand, der Buße tut, voller Trauer und immer »den Tränen so nahe«. Dabei hielt sie die Ikone an ihre Brust gedrückt und betete, flehte den Allmächtigen an, dass das Kind doch endlich weinen möge. Sie stupste es manchmal an und einmal piekste sie es sogar mit einer Nadel, aber auch das half nichts. Sie kam erst zur Ruhe, als mein Vater
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