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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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Ljubo Maras, der ein Freund meines Vaters war, versuchte oft, meiner Mutter Komplimente zu machen und ihr zu schmeicheln, und einmal sagte er, wenn sie nur zwanzig Kilometer südlicher in Dubrovnik zur Welt gekommen wäre, könnte sie auch eine Adlige oder eine Großgrundbesitzerin geworden sein. Darüber musste sie lächeln. Wer hat es nicht gern, wenn er hin und wieder ein bisschen gelobt wird? Sie antwortete darauf aber mit dem für sie typischen Sprachwitz, der manchmal etwas unangenehm Spöttisches haben konnte, wie das eine Mal, als ich neben ihr stand und sie Maras eine ihrer gepfefferten Antworten gab. »Na, schau mal einer an«, sagte sie, »Sie sind doch auch in Dubrovnik geboren, aber wo ich bei Ihnen auch hinsehe, ist nicht die kleinste Spur von Adel zu entdecken.«
    Sie wollte ihm damit sagen, dass sie sich arm und adelig zugleich fühlte, dass für sie das eine dem anderen nicht widersprach und natürlich unabhängig vom Ort ihrer Geburt war. Der Herr verstummte sofort. Als ich etwas älter war, las ich dann ein Buch, in dem stand, dass jene Künstlerfiguren am meisten leiden, die auf der Flucht vor ihrer Herkunft sind, auf der Flucht vor ihrer Verwandtschaft und vor ihren Eltern, da sie sich im gesellschaftlichen und ethischen Widerstreit befänden und deshalb im Grunde genommen permanent gegen alles kämpften, das sie zu dem Individuum gemacht hatte, das sie jetzt waren. Es war also ein aussichtlosloser Kampf gegen die eigene Zugehörigkeit. Dieser Autor, den ich vor langer Zeit gelesen habe und an dessen Namen ich mich deshalb nicht mehr erinnere, schrieb auch, dass Patriotismus eine eigenartige Form von Hass auf die eigenen Leute sei, ein direkter Hass auf die eigene Herkunft, Hass auf das Volk, zu dem man gehöre, und dass der Wunsch nach Verrat viel zu stark sei, als dass man ihn verdrängen könnte. Wenn wir keine starken animalischen Kräfte in uns hätten, wären wir alle Verräter und Abtrünnige. Wohl wahr! Als ich meine Geburtsgegend verließ, ging ich zur Gemeindeverwaltung und sagte zum erstbesten Beamten: »Können Sie mich bitte entwurzeln?« Heute denke ich, dass meine Mutter etwas Ähnliches wie ich gemacht hat, sogar mehrmals, auf ihre Art, mit ihrem begrenzten Vokabular.
    Mein Vater war davon überzeugt, dass er es im Leben wegen seiner Heimatverbundenheit zu nichts gebracht hatte. Sein Traum, aus seiner Geburtsgegend fortzugehen und es seinen Brüdern gleichzutun, war nie Wirklichkeit geworden. Einmal vertraute er mir an, dass er jedes Mal Angst hatte, wenn er aus der Fremde nach Hause kam. Kurz nach meiner Geburt war er für ein paar Wochen wie vom Erdboden verschluckt gewesen, er hatte sich in den kleinen Städten an der Küste herumgetrieben. Und als er zurückkam, lungerte er zwei Stunden lang ums Haus herum, wollte es nicht sofort betreten, versteckte sich sogar, um Mut zu sammeln, bis es dunkel war, denn er wollte nicht, dass ihn jemand bei seiner Rückkehr beobachtete. Erst im Schutz der Nacht wollte er das Haus betreten. Das tat er dann auch, atemlos, wie jemand, der auf der Flucht war. Er hat einmal seine kleinen Ausbrüche als im wahrsten Sinne des Wortes notwendig bezeichnet, er brauchte offenbar das gehetzte Gefühl, auf der Flucht zu sein, um dann freiwillig zurückzukehren und immer wieder von seiner eigenen Rückkehr aufs Neue erschüttert zu werden.
    Weder mein Vater noch meine Mutter konnten mir jemals begreiflich machen, was sie eigentlich miteinander verband. Ich verstand auch nicht, wie es dazu gekommen war, dass ein alternder Junggeselle, der die Heirat mied wie der Teufel das Weihwasser, schließlich doch geheiratet, also etwas getan hatte, was er verabscheute und was er nie hatte tun wollen. Es würde mir eingeleuchtet haben, dass sie heiraten mussten, weil meine Mutter beispielsweise in eine missliche Lage gekommen und deshalb zur Ehe mit diesem alternden Mann gezwungen war – um etwa die Ehre ihrer Familie zu retten. Und natürlich hätte mir auch eine leidenschaftliche Liebesgeschichte eingeleuchtet, die sich bekanntermaßen um das Alter nicht schert. Die beiden kannten sich aber schon von Kindesbeinen an und waren auch als Erwachsene keine Fremden füreinander. Als sie eine junge Frau geworden war, hatte meine Mutter es nie darauf angelegt, von meinem Vater umworben zu werden. Sie reagierte nicht einmal auf seine Avancen, war sogar brüsk zu ihm und lehnte ihn offen ab, und ihre Eltern taten das Gleiche. Außerdem hatte mein Vater nichts für schmale

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