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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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geworden und offenbar auch fähig, sich zusammenzureißen. Er schrie nicht mehr herum und schlug nichts mehr klein im Haus. Viel wichtiger war mir aber, dass er jetzt verstand, was er falsch machte. Einmal sagte ich sogar zu ihm, dass ich vor einem Vatermord nicht zurückschrecken würde, ginge er noch ein einziges Mal grob mit meiner Mutter um. Das sagte ich zu ihm in einem Tonfall, der mir so selbstverständlich und abgebrüht über die Lippen ging, dass es sogar auf eine komische Weise gelehrt klang, so als hätte ich das alles irgendwo in einem Buch gelesen. Er verstummte, senkte seinen Kopf und bat mich leise um Vergebung.
    In der Mädchenzeit, erzählte mir Mutter, hätte ihr mein Vater überhaupt nicht gefallen. Er sei verschwenderisch gewesen, hätte sich immer selbst gelobt und angegeben, viele bedeutende Menschen zu kennen, Leute, die berühmte Händler waren, Nachfahren von osmanischen Herrschern, Goldschmiede und die ganzen Handwerker aus Mostar, Ärzte, Archivare, königliche Offiziere. Verächtlich schaute sie ihn an, machte sich lustig über ihn, und ein normal empfindender Mensch hätte es nie wieder gewagt, in ihrer Gegenwart dieses übertrieben angeberische Posaunen zu wiederholen. Je schroffer sie zu ihm war, je direkter sie ihn verhöhnte, desto mehr verlor er auch an Würde in ihren Augen. Auf ihre raffinierten Seitenhiebe reagierte er nach einem bestimmten Muster und hatte sich mit der Zeit ein paar Obszönitäten zurechtgelegt, mit denen er ihr jedes Mal antwortete und die er zu steigern versuchte. Man kann also zusammenfassend sagen, dass diese beiden Eheleute nie zueinander gepasst hatten. Meine Mutter beschrieb diese Ehe als das Leben zweier Leute, die nur dadurch aneinandergeschweißt wurden, weil sie sich immerzu, in unterschiedliche Richtungen gehend, voneinander wegbewegten. Es war das Scheitern, das sie verband. Sie bildeten nur dann eine Einheit, wenn sie sich stritten, wenn ihre Ehe einer Groteske glich und sie immer nur in jenen Augenblicken ein Paar waren, wenn mein Vater zu begreifen schien, dass seine Angebereien, all die vielen Namen, die er aufgezählt hatte, von keinerlei Nutzen für ihn waren. Er redete immer von den Reichen, auf ihn selbst legte sich jedoch der Glanz jenes funkelnden Reichtums, den er so liebte, kein einziges Mal, von bedeutendem Ansehen oder Würde konnte ohnehin keine Rede sein. So war es, und es war nichts mehr für ihn daran zu ändern gewesen.
    Wie ist es aber überhaupt zu dieser Ehe gekommen? Verstrickungen und Tragödien sind an der Tagesordnung, wenn Menschen versuchen, ihrer Einsamkeit zu entkommen und vor dem Durcheinander zu fliehen, das sie selbst in ihrem Leben produziert haben. Jeder von uns hat sich hier und dort aufs Glatteis begeben oder war sich selbst gegenüber verantwortungslos und leichtsinnig. Meine Mutter sprach häufig davon, dass wir für unsere Dummheiten früher oder später büßen müssten und irgendwann die gerechte Strafe erhalten.
    Sie hatte schon als Mädchen im Gemischtwarenladen meines Vaters eingekauft. Sie verabscheute dieses Geschäft, aber es war weit und breit das einzige in L., es blieb ihr also nichts anderes übrig, als immer wieder hinzugehen. Der Besitzer neckte sie immerfort, und als sie nicht einmal dreizehn Jahre alt war, fragte er sie im Ton eines alten lüsternen Fuchses, ob denn ihre Brüstchen schon Knospen hätten. Sie hatte viele solcher unangenehmer Momente mit ihm erlebt, einmal erwischte sie ihn dabei, als er die Frau eines ihrer Cousins küsste, schnell drückte er meiner Mutter Neapolitanerschnitten in die Hand, damit sie schwieg. »Du hast nichts gesehen«, sagte er. Da sie nirgendwo sonst einkaufen konnte, akzeptierte sie die Neapolitanerschnitten, aber als sie vor dem Geschäft stand, konnte sie einen Kommentar nicht unterdrücken, so war sie, sie hatte etwas stichelnd Aufrechnendes in ihrer Art. »Was soll ich denn auch gesehen haben«, sagte sie, »ich habe den Kopf weggedreht, damit ich mir den Anblick eines unansehnlichen alten Mannes erspare, der meine blutjunge Verwandte küsst.«
    Meine Mutter hatte ein stürmisches, lebendiges Wesen, im Grunde genommen kann man sogar sagen, dass ihr Gemüt sonnig und sie eine einfühlsame Frau war, sie hatte auch Sinn für Humor, Mut in jeder Hinsicht, war ein zärtlicher Mensch, den man gesellig nennen könnte. Sie hatte große grüne Augen und feine blasse Haut, die nie braun wurde, selbst dann nicht, wenn sie sie der Sonne aussetzte. Der Großhändler

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