Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
oder abwertend sprach, meine Mutter betonte stets, ihr Vater hätte das Ganze auf die damalige Überrumpelung vor dem Zelt zurückgeführt. Bei Sinnen sei sie sicher nicht gewesen, darin war sich ihr Vater sicher, sonst, sagte er, hätte sie so etwas nie getan. »Das war die Vorlage für unsere kriegerischen Jahre«, sagte er. Dieser Satz wurde nie vergessen.
Mutter war aber schon auf vielen Jahrmärkten gewesen, nicht nur in den Städtchen der Umgebung, sie kannte auch Orte am Meer. Seit ihrem zwölften Lebensjahr war sie zu Mariä Geburt aber immer am liebsten nach L. gegangen. Es gab unzählige Gelegenheiten auf diesen Festen, mit anderen in Berührung zu kommen; wo viele Menschen sind, da wird man auch schnell übermütig und es passieren Dinge, die man manchmal lieber nicht erleben würde. Sie war aber nicht nachtragend und vergaß schnell und gerne, vor allem das Unangenehme. An diesem Tag aber, an dem sie, ohne den geringsten Zweifel zu verspüren und ohne Widerstand zu leisten, diesen Ring angenommen hatte, prägte sich auch das Nebensächlichste in ihrem Gedächtnis ein. Nun war sie eine vergebene Frau. Das nebensächlichste Ereignis, Bewegungen und Gesichter dieses Tages wurden Teil ihrer Erinnerung, auch die winzigste Kleinigkeit prägte sich ihr ein, die sie später und selbst noch als alte Frau mit Leichtigkeit wiedergeben konnte, wie einen Spielfilm, den sie mit großer Präzision nacherzählen konnte und auf diese Weise immer wieder auf jenen kleinen Ausschnitt ihres Lebens schaute. Mit ihrem Verlobten, der bis vor kurzem noch ein Mensch war, den sie nicht ausstehen konnte und mit dem sie nichts verband, ging sie jetzt ganz selbstverständlich über den Jahrmarkt, schaute sich an seiner Seite und unter seinem Schutz unverblümt das bunte Jahrmarktstreiben an, war freier als bisher, fröhlicher und direkter. Aber schon in der ersten Stunde ihrer Verlobung legte sich ein erster Schatten auf diese Beziehung. So etwas passiert oft, wenn Menschen glücklich sind. Ein Bekannter ihres Vaters tauchte auf, ein junger Zöllner aus Gruž, der sich in die junge Frau verguckte und ein paar Stunden später zu meinem Großvater Tomo sagte: »Ich wusste überhaupt nicht, dass du so eine schöne Tochter hast, sie ist ja im Heiratsalter! Könnten wir ins Gespräch kommen?« »Ja, das wäre schön, aber gerade heute hat sie sich verlobt.« Und dann bat sie ihr Vater, dem jungen Mann ihren Ring zu zeigen, und griff nach der Hand der Tochter, als diese selbst schon im Begriff war, stolz ihre Hand vorzustrecken, damit der Zöllner ihren prächtigen vierundzwanzigkarätigen Goldring zu Gesicht bekam.
In der Ehe war später nichts mehr so lustig oder harmlos wie in jenem Moment mit dem Zöllner. Mein Vater ertrug es schlecht, wenn seine junge Frau mit anderen in Berührung kam. Er versuchte, sich mit Witzen zu retten, aber sie fielen immer böse und grob aus, nie lag etwas Ausgewogenes in seinen Worten. Er war jähzornig und fand einfach keine anderen Mittel, um den flirtenden jungen Männern gelassener zu begegnen, eigentlich scheiterte er an seinem mangelnden Humor. So kam es dazu, dass mein Vater immer unangemessen reagierte, immer auf die denkbar schlechteste Art, weil er ein streitsüchtiger Mensch war, der jeden kleinen Schaden immer noch größer machte, als er zunächst war. Alles mündete bei ihm in einer Auseinandersetzung, jedes Mal auf eine brachial endgültige Art. Das führte dazu, dass alle Menschen, die irgendetwas mit meinem Vater zu tun hatten, um des lieben Friedens willen gleich den Mund hielten, weil sie sich nicht mit ihm in Streitereien verstricken wollten.
Unter solchen Machtspielen leiden in der Regel immer die Unschuldigen, und so musste es dazu kommen, dass meine Mutter zur humoristischen Zielscheibe der Leute wurde. Danach begann erst recht die Zeit der Tobsuchtsanfälle meines eifersüchtigen Vaters. Bis zum Schluss prägten sie die Ehe meiner Eltern. Jedes Mal wenn ihn jemand neckte, konnte man die Reaktion meines Vaters voraussehen. »Habe gerade deine Frau mit einem Jüngling in der Stadt gesehen« – so einen Satz brauchte man nur mal in den Raum zu stellen, und schon verfiel mein Vater auf die absehbar gleiche Weise in seine Schimpftiraden und wurde beschämend ausfällig. »Hätte die Stute nicht gewiehert, wären auch keine Rammler aufgekreuzt.« Mit solchen Worten versuchte er, sich zu wehren. Und das führte natürlich immer dazu, dass mein Vater einen Streit vom Zaun brach, dem ein
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