Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
junge Frauen übrig, er dachte sogar, meine wortgewandte Mutter hätte eine Krankheit. Er mochte füllige Frauen mit großen Brüsten viel lieber. Er selbst drückte sich in dieser Sache bezeichnenderweise so aus: »Ich bevorzuge prächtige Stuten.«
Meine Fragen nach den Anfängen ihrer Ehe beantwortete meine Mutter mir immer mit der gleichen Antwort; diese Heirat, sagte sie, sei einfach ihr Schicksal gewesen. Dabei glaubte sie gar nicht an das Schicksal. Es war wohl mehr als Pech, dass es ausgerechnet bei ihr diese große Ausnahme gemacht und sich in ihr Leben eingemischt hatte.
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Mein Vater sprach selten über seine Ehe, und wenn er je ein Wort über sie verlor, so hatte er seine ganz eigenen Deutungen zur Hand. Sein Blick auf diese unerwartete und eigentlich auch unbeabsichtigte Beziehung war ein wenig metaphysisch gefärbt. Er behauptete, dass manche Dinge einfach deshalb passierten, weil früher oder später jeder von uns einfach die Welt kennenlernen müsse und draußen nun einmal ein Ereignis auf uns warte, wir ihm also in die Arme laufen müssten, ob wir das wollten oder nicht. An jenem Tag war er in Trebinje zu einem Jahrmarkt aufgebrochen. Er lebte allein und unterhielt schon eine Weile den Gemischtwarenladen in L. Jedes Jahr, wenn im Juni der Rummel stattfand, zog es auch ihn dorthin. Dieses Mal hatte er aber eine merkwürdige Vorahnung und glaubte, dass sich dort etwas Besonderes für ihn ereignen würde.
Er erwartete also dieses, so drückte er sich selbst aus, diffuse Ereignis, während meine Mutter ein paar Schritte von ihm entfernt davon träumte, endlich aus L. fortgehen zu können. Trebinje war für sie ein Traum, ein vielversprechendes Städtchen, mit dem sie Lebendigkeit und wohl auch die Gründung einer Familie in Verbindung brachte. Sie stellte sich vor, dass ihre Kinder dort zur Schule gehen würden. Außerdem wäre damit auch endlich ihr Traum verwirklicht gewesen, eine richtige Stadtbewohnerin zu sein, die auf eleganten hohen Schuhen Spaziergänge zum Sommergarten und zum Kaffeehaus »Unter den Platanen« machte. Mein Vater ermöglichte die Begegnung dieser zwei so unterschiedlichen Menschen, indem er sich selbst zum Jahrmarkt in L. auf den Weg machte, der weit und breit bekannt war und zu Mariä Geburt einer der meistbesuchten Jahrmärkte in der ganzen Herzegowina war.
Dieser Jahrmarkt hatte eine lange Tradition und war bekannt für seine unzähligen Attraktionen, aber in den dreißig Jahren seines Bestehens hatte er mit der Zeit eine politische Dimension angenommen. Immer öfter waren dort junge Kommunisten mit rüden Manieren aufgetaucht und hatten damit die erhöhte Präsenz der Gendarmen automatisch nach sich gezogen.
An diesem Tag war es auf dem Jahrmarkt sehr lebendig. Eine sinnliche Atmosphäre lag in der Luft, von der nicht nur der kleine staubige Marktplatz erfasst war, auf dem die Wirtschaft und der Gemischtwarenladen Mrkaić standen, sondern auch die beiden Straßenzüge, in denen Zelte aufgeschlagen worden waren und wo sich die meisten Menschen aneinanderdrängten. Ein Gefährt, auf dem Händler allerlei Speisen und Getränke verkauften, bahnte sich seinen Weg durch die quirlige Menge, in der das Durchkommen immer schwieriger wurde. Die Jahrmarktbesucher beschwerten sich. Die Sonne brannte so stark, dass sich die Frauen, vor allem die korpulenteren unter ihnen, mit Tüchern bedeckten, man sah sogar auch ein paar aufgespannte Regenschirme. Überall standen Menschengruppen, jeder Besucher wollte etwas sehen, sogar um den Messerschleifer hatten sich eine Menge Neugieriger versammelt. Mein Vater ließ sich ein kleines Messer schleifen, er konnte sich das leisten, weil es nicht so teuer war. Die Damenwelt, vor allem die ganz jungen Frauen, versammelten sich bei den schlau dreinschauenden Zigeunerinnen, die lautstark ihre Wahrsagekunst anboten. Eine alte Wahrsagerin schnappte sich meine Mutter und sagte: »Ich sehe in deinem Schicksal einen Ring, du wirst noch in diesem Jahr heiraten. Der Bräutigam ist nicht einmal einen Schritt von dir entfernt. Er ist so nah, dass du seinen Atem im Nacken spüren könntest. Schau dir das an! Er ist ein reicher Mann und wird dich zu einer Dame machen.«
Das waren also die Jahrmarkt-Attraktionen, nach denen sich alle gesehnt hatten. Die Leute bewegten sich gemächlich Schritt für Schritt durch die Menschenmenge, und es war ihnen egal, ob sie in die eine oder in die andere Richtung gingen, hin und wieder verschwanden sie in einem
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