Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
über Schmetterlinge wusste und mich ein bisschen mit Lepidopterologie beschäftigte, war ich mir sicher, dass Jozipa ein faunisch wertvolles und in unseren Gegenden seltenes Schönbär-Exemplar gefangen hatte; dieser Schmetterling ernährt sich von der Moorwolfsmilch und von Butterblumen.
Das eine oder andere Mal werde ich mich wieder den Schmetterlingen widmen, aber nur kurz, denn das ist lediglich ein Nebenschauplatz in meiner Geschichte, aber gestehen muss ich doch, dass meine Liebe für das Schreiben und für Insektenkunde ohne meine Lehrerin Jozipa undenkbar wären, auch wenn es nicht das Einzige geblieben ist, was ich ihr zu verdanken habe. Sie hat noch viel mehr für mich getan, sie hat meinen Widerstand gegen das Banale gestärkt, hat mir geholfen, meinen Geschmack auf das Wesentliche zu reduzieren, mich davor bewahrt, dem Kitsch zum Opfer zu fallen. Sie hat dazu beigetragen, dass sich einige meiner Tugenden entwickelten, und mir wie nebenbei gezeigt, dass zwanghafte Ordnung unsere Freiheit einschränkt und die Individualität erstickt, dass sie sogar gewaltvoll ist, unnatürlich – und sie hat mir, von heute aus besehen, das Wichtigste von allem gezeigt: Sie hat mich die Liebe selbst entdecken lassen.
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Unter der Aufsicht eines Lehrers, der Mitglied im Bildungsreferat der Stadt war, und zweier Männer, die sich selbst eifrig »Parteisoldaten« nannten, wurden eines Tages aus unserer Schule unerwünschte Büsten entfernt. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wen sie genau darstellten, aber man hatte uns gesagt, dass es sich um irgendwelche Reaktionäre handelte und dass es unsere Pionierspflicht sei, auf den Schulhof zu gehen und unsere Wut an den umgeworfenen Skulpturen auszulassen; wie das aber zu geschehen hatte, wurde uns überlassen. Auf einem großen Haufen hatte man allerlei Plunder zusammengeworfen, Bücher waren auch zu sehen, die der gleiche Lehrer fortgeworfen hatte, der auch für die Kultur im Stadtkomitee zuständig war. Aus der ärmlichen Schulbücherei warf man in hohem Bogen die Bücher aus der Vorkriegszeit hinaus, aber auch viele andere, über die ich nichts wusste. Der Lehrer zündete auf dem Schulhof das Ganze an, symbolisch verabschiedeten wir uns von einer Zeit, in der offenbar alles schlecht gewesen und das Schulsystem rückschrittlich zu nennen war. Ich erinnere mich daran, dass meine Lehrerin die Bemerkung machte, es sei alles andere als weise, auch die Lehrbücher für Mathematik, Physik und Chemie zu verbrennen, denn da würde sich doch so schnell nicht alles ändern. Der eifrige Parteisoldat erwiderte nur, er sehe leider gänzlich schwarz, wenn er sich klarmache, dass diese Bücher im »Königreich Jugoslawien« gedruckt worden waren, Fakt sei doch, dass es das nun einmal nicht mehr gebe, deshalb müsse man alle Spuren und Erinnerungen an diese Zeit konsequent auslöschen, denn, so der Kanon, sie sei durch und durch böse gewesen.
Meine Lehrerin bekam damals eine Abmahnung. Und bei dieser einen ist es nicht geblieben. Sie begannen ihr richtiggehend zuzusetzen, mehrere Bürger und viele Eltern meldeten sich zu Wort, nörgelten lautstark an ihr herum, hatten immer etwas an ihr zu bemängeln, weshalb sie wieder und wieder im Bildungsreferat der Stadt vorgeladen wurde. Man fing an, ihr Fragen zu stellen, die Befragungen waren endlos, und es kamen dann auch Inspektoren in unsere Schule, zuerst aus der Stadtverwaltung, dann aus dem Bezirk, schließlich auch aus der Republik. Hohe Parteigenossen wurden vorstellig, und einmal tauchte auch der Freund meines Onkels, das hohe Tier Viktor Bloudek, auf. Es erstaunte mich, dass die meisten von ihnen nicht gerade froh über die Gesundung meiner Lehrerin zu sein schienen. Einer der Spitzel beschwerte sich sogar öffentlich über ihre Genesung und sagte, ihr Beerdigungskleid sei doch schon fertig gewesen, auch das Toten-Stirnband habe bereits auf ihren hübschen Kopf gewartet. Ich kam auf die gleiche Liste wie Jozipa, weil man mich oft mit ihr gesehen hatte. Als sie aus Zagreb zurückkam und die medizinischen Untersuchungen ergeben hatten, dass ihre unheilbare Krankheit überwunden war, feierten wir zu Hause ein Fest bis spät in die Nacht. Ich hielt den ganzen Abend die Hand meiner Lehrerin. Sie hatte schon festes neues Haar bekommen, es war schnell gewachsen und war kastanienfarben. Es knisterte morgens, wenn sie es kämmte. Ich erinnere mich gut daran, dass meine Mutter weinte, weil sie so glücklich über den guten Haarwuchs von
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